Der Parasit, Wiener Burgtheater



Der Wendehals regiert die Welt

Der Minister will Redlichkeit, Selicour postuliert Gewandtheit, der Minister redet von Würde, Selicour von Beliebtheit, der Minister wünscht Rechtschaffenheit, Selicour wiederholt beflissen „Affenheit“.
Schon dieser kleine Dialog zwischen dem ehrbaren neuen Minister (Udo Samel) und dem Emporkömling Selicour (Michael Maertens) verrät viel über die Beiden. Dennoch braucht der Minister Narbonne lange, bis er das Ränkespiel des Karrieristen, der so gerne den Posten des Botschafters ergattern möchte, zu durchschauen beginnt.
Dazu tragen auch die Interessen von Narbonnes Mutter (Kirsten Dene) bei, die von dem Charmeur so begeistert ist, dass sie ihn durch die Verkuppelung mit ihrer Enkelin (Yohanna Schwertfeger) an ihr Haus binden will. Auf die Schöne hat auch der schöngeistige Poet Karl (Gerrit Jansen) ein Auge geworfen. Dessen Vater Firmin (Johann Adam Oest) steht wiederum als überaus fähiger Sekretär Selicour bisher nur in der zweiten Reihe. Wäre da nicht der geschasste Hitzkopf La Roche (Oliver Stokowski), den nun die Rache an Selicour umtreibt, bliebe die bisherige Sortierung in Oben und Unten wohl erhalten. Doch dessen Wut und Ekel über so viel Ungerechtigkeit bringt die alte Ordnung ins Wanken. Immer wenn er den Namen "Selicour" ausspricht, verzieht, ist sein Gesicht schmerzverzerrt.
Die Bühne ist ein schlicht weißer unschuldiger Raum. Dennoch zeigt ein quer gestellter, riesiger Paravent, wem welche Stellung zukommt. Firmin muss mit seinem Sohn durch die niedrigste Tür kriechen, der Minister kann den Türgriff seiner bühnenhohen Tür dagegen fast kaum erreichen und Selicour darf sich über den Eintritt durch die zweithöchste Tür freuen.
Den Dichter Schiller lernt der Zuschauer hier von seiner humorvollen Seite kennen. In einer Adaption des Theaterstückes „Der Parasit“ von Louis-Benoit Picard deckt dieser die Schwächen der menschlichen Art im Stile Molières auf. Ohne Picards Versmaß klingt der Text verblüffend heutig. Regisseur Matthias Hartmann merkt man den Spaß an, ihn mit seinen hervorragenden Darstellern des Wiener Burgtheaters zu einem Kabinettstückchen der dezenten Übertreibung zu machen. Besonders Michael Maertens darf in die Vollen greifen. Bis in die gegelten Haarspitzen hinein steht hier der personifizierte Wendehals vor uns. Schlangengleich windet er sich um seine Vorgesetzen, um seine Ziele zu erreichen. Die Schleimspur, die er absondert, erzeugt zugleich Ekel und Bewunderung. Immer wieder schafft er es, die Menschen mit manipulatorischen Reden und Schmeicheleien von sich zu überzeugen. Denn nur zu gerne wollen sie dem schönen Schein glauben.
Dann endlich scheint die Aufklärung, auf die der auf Gerechtigkeit hoffende Zuschauer schon so lange gewartet hat, einzutreffen. La Roche gelingt durch einen klugen Schachzug im Stile Selicours die Enthüllung: Selicour wird aller Posten enthoben und Firmin erhält verdientermaßen den Rang des Botschafters. Alles applaudiert erleichtert über das schöne Happy-End.
Doch Hartmann hat noch nicht genug: Noch zwei Mal wird die letzte Szene auf Anfang gedreht und jedes Mal erhält ein Anderer das Amt und ein Anderer die Schande. Das zweite Mal wird La Roche Botschafter und beim dritten sogar Selicour. So macht der Schlusssatz bei Schiller hier gleich dreifach Sinn: „Der Schein regiert die Welt, Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.“
Eine hintersinnige, zum Brüllen komische Komödie, die gekonnt menschliche Schwächen, die einer heutigen Mediengesellschaft sehr vertraut sind, aufs Korn nimmt.
Birgit Schmalmack vom 5.10.11

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