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Das Verschwinden des Theaters

Filetstücke, monsun.theater G2 Baraniak


"Ich würde es immer wieder machen", wird die Theaterleiterin (Rilana Nitsch) am Schluss sagen. Doch sie bleibt eine Königin ohne Land. Ihr Traum von einem modernen Theater, das Bühneraum für alle Lebensvorstellungen einer Großstadt bietet, ist vorerst in den Stand einer Utopie gehoben. Ihr kleines Hinterhoftheater, das endlich saniert und barrierefrei werden sollte, ist zurzeit leer. Und das liegt nicht nur daran, das sich das Theater gerade in einem Viruskerker befindet, das alle Aktionen entmaterialisiert hat, das Schauspieler*innen durch Animationen ersetzt und alles eben noch Reale ins Virtuelle entschwinden lässt. Ihr Theaterraum hat sich tatsächlich aufgelöst. Die Theaterleiterin Frau Kleinhaus wollte in die "Barrierefreiheit auf allen Ebenen investieren – kulturell, räumlich, gesellschaftlich" - und sich nun eingewickelt sieht von Zahlenkolonnen, Behördenplänen, Telefonwarteschleifen Kalkulationen, und Protokollen. Das Dach ihres Theaters ist eingestürzt und die Treppe zu ihrer Bühne entfernt. Sie ist gefangen in ihrem Bühneraum, der menschenleer ist. Dort träumt sie von ihrem utopischen Theater und sieht sich zugleich konfrontiert mit Bauleitern, Bürokratie und Baugewerken, die eine Wiedereröffnung in weite Ferne rücken lassen. Ihre reale Baustelle wird so zu einer Metapher für das Verschwinden der Kultur und ihre Transferierung auf die Screens.
Diese Handlung, die sich im Monsuntheater in Hamburg abspielt, ist stark von den tatsächlichen Ereignissen bei der immer noch andauernden Modernisierung des Theaters, die Anfang 2020 begann, beeinflusst. Sie verschränkt sich mit einem zweiten Handlungsstrang, der gleichzeitig auf der Vagantenbühne in Berlin gespielt wird. Dort versuchen der Architekt Lars Drewes (Felix Theissen) und sein Partner Till Feldmann (Andreas Klopp) an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern eine Ferienhaussiedlung in dem Ort Seelenheil zu bauen, und das schon seit 17 Jahren. Der Widerstand der Dorfbevölkerung legt ihnen ein Hindernis nach dem nächsten in den Weg. Unter anderem durch die Schlossbesitzerin Schranz, die dort lautstark und durchsetzungsgewaltig für den Erhalt ihrer kleinen Schlosstheaterbühne und ihrer alljährlichen Kürbissuppenfeste kämpft.
Laufen die beiden Stücke an den beiden Bühnen auch in unterschiedlichen Bahnen, so verweben sich über punktgenaue Einblendungen immer wieder. Denn Frau Kleinhaus verwandelt sich in Frau Schranz und der Architekt in Hamburg ist auch derjenige, der an der Ostsee bauen will. Die Zuschauer*innen können sich in der Zoomkonferenz in den einen oder anderen Raum ganz nach Belieben einklinken. So ist ein kunstvolles und innovatives Theaterprojekt unter der Regie von Francoise Hüsges (Hamburg) und Johanna Hasse (Berlin) mit dem Text von Michael Alexander Müller umgesetzt worden, das in dieser Zeit der Beschränkung neue Formen ausprobiert. Doch am Schluss ist es wie Frau Kleinhaus erlebt: Wir müssen noch eine Weile träumen von dem Theater, in dem wir uns real begegnen können. Dennoch scheint umso mehr klar, dass das animierte Virtuelle die tatsächliche Begegnung nie ersetzen kann.
Birgit Schmalmack vom 6.4.21