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Reise nach Petuschki, Volksbühne
Alle Anständigen müssen trinken
Um der Mittelmäßigkeit zu entkommen müsse man trinken. Nur so seien in der Balance des Lebens auch mal Ausschläge nach oben verzeichnen. Alle anständigen Russen müssten trinken, nur die überflüssigen könnten auf den Alkohol verzichten, weil sie keine trüben Erkenntnisse zu verdrängen hätten.
Doch die Trinkerei hat auch Nebenwirkungen: Das Leben scheint in Kreisbahnen zu verlaufen, nicht in Wellenbewegungen. Eigentlich könnte am im Alkoholnebel alle Aktionen auch auf morgen verschieben, weil sie doch nicht den Prioritätsfaktor eins erhalten. "Lass uns erstmal einen trinken!", kommt immer dazwischen.
So dauert die "Reise nach Petuschki", die Wenja unternehmen will auch so lange, dass er sein Ziel nicht mehr erreicht. Vielleicht weil es sich gar nicht lohnt? Gibt es dieses Petuschki, in dem der Jasmin das ganze Jahr über blüht und eine schöne Frau auf ihn wertet, nur in seiner Fantasie? Ist der Teufel, der Bienenbär, die Göttin Victoria und die Sphinx, denen er auf seiner Reise begegnet nur seinem Alkoholrauch entsprungen?
Regisseur Sebastian Klink hat es in der Volksbühne wunderbar verstanden, den richtigen Ton für die Umsetzung der Vorlage von Wenedikt Jerofejew zu finden. Hier macht das eingeschliffene Volksbühnen- Image im Eingeständnis des alkoholgeschwängerten Unsinns wirklich Sinn. Die Hardrock-Band "The New World Order" mitten auf der Bühne sorgt für den richtigen düsteren Soundtrack, den aber nach Bedarf die Schauspieler um weitere Songeinlagen erweitern dürfen. Viele Live-Film-Aufnahmen werden wieder einmal auf die große Leinwand hinter das verschiebbare Marmorportal eines Bahnhofs projiziert, die zeitgleich im zweiten Rang aufgenommen werden. Die zentrale Aussage ist schnell klar: Der Alkohol sichert das Überleben in der Trostlosigkeit des sowjetischen Langeweile und Enge und gleichzeitig verhindert er auch jede Veränderung. Er gaukelt sogar vor, das Leben als Sowjetmensch sei wunderbar. Alkohol dient dem Staatserhalt.
Ohne die Volksbühnenschauspieler, die am Ende wie Rockstars gefeiert werden, wäre so ein Abend nicht möglich: : Patrick Güldenberg, Alexander Scheer, Christian Schneeweiß, Jeanette Spassova und Daniel Zillmann glänzen jede/r auf ihre/ seine Weise.
Viel Show um wenig Inhalt, aber die macht Spaß!
Birgit Schmalmack vom 19.4.17