Ganz persönliche Inseln
Inseln, das sind klar abgegrenzte Gebiete, üblicherweise von Wasser umspült. Man kann auf sie hinüberblicken, wenn man sich auf dem Festland befindet. Oft werden sie zu Sehnsuchtsgebieten, auf die man entfliehen möchte. Um alleine zu sein, um die Perspektive zu wechseln, um sich abzutrennen von Althergebrachtem. Ist man dann tatsächlich auf dieser Insel der Sehnsucht gelandet, stellen sich eventuell andere Gefühle ein. Neben Langeweile, Abgeschnittensein und Einsamkeit auch Konfrontation mit Härten, die man nicht erwartet hatte. Denn der Ausbruch aus dem Alltag, die Einschränkung, die Beschränkung, die Konzentration, die Veränderung - sie können auch schnell zu einer Überforderung werden, wenn sie in die Realität überführt worden sind.
Der Ausgangspunkt des theatralen Rechercheprojektes von Daniel Brunet und Max Schumacher war eine kleine Insel namens "North Sentinel Island" vor dem indischen Festland. Wie viele Menschen hier leben, ist unbekannt, denn sie sind völlig abgeschnitten von der restlichen Welt. Jeder der sich ihrer Insel nähert, wird mit dem Tode bestraft. So stehen Beginn Brunet und Schumacher zu Beginn im orangenen Hawaiihemd an zwei von insgesamt vier fahrbaren Videoleuchttischen vor einer Weltkarte mit grün-braunen Landinseln in viel leuchtendem Blau, die die ganze Rückwand einnimmt. Während sie in einer Art Lecture Performance von dem einen oder anderen Inselareal berichten, reist der Blick auf der Weltkarte in das jeweilige Gebiet. Ständig zoomt man sich hinaus und wieder hinein. Immer wieder wird im wahrsten Sinne die Draufsicht eingenommen, wenn der Blick aus der Vogelperspektive auf die Bühnenrückwand projiziert wird.
Viele verschiedene Geschichten über "Inseln" versammelt der Abend "Islands" im English Theatre Berlin, der am 1.7. seine Premiere feierte. Obwohl die Getränke selber mitgebracht werden mussten und der Nieselregen am Abend wieder tröpfelte, wurde sie auch zu einer Feier des neuerlich möglichen Zusammenseins, um von der abgeschlossenen Scholle der eigenen Wohnung endlich wieder hinüber zu der Insel der Kultur interessierten Berliner*Innen zu gelangen.
Denn dass auch Berlin so eine Insel ist, darin waren sich die drei Performer*innen auf der Bühne sicher. Ganz so abgeschnitten vom Rest der Welt wie "NSI" ist die Insel Berlin aber nicht. Auch das bewiesen die Performer*innen. Rafuska Marks kam aus Brasilien hierher, Valerie Renay von Martinique und Alexander Schröder aus dem deutschen Schwabenland. Unterschiedliche Sehnsüchte zogen sie nach Berlin. Rafuska träumte von großen deutschen Theaterbühnen, auf denen sie stehen wollte. "Dieses theatralische Gehabe kann ich auch, schließlich bin ich Brasilianerin!" Valerie konnte sich ihre erste Sehnsuchtsinsel England schlicht nicht mehr leisten und landete in der billigeren Alternative Berlin. Alexander wollte dem anstehenden Wehrdienst entkommen und zog auf die Westberliner Insel in der ehemaligen DDR.
Diese sehr persönlichen Geschichten werden in dem Abend in einen größeren Rahmen gestellt. Zum Schluss der gut einstündigen Performance schwebt man zunächst über den Wolken und landet schließlich zwischen den Sternen im Universum. Denn die eigentlichen Inseln sind keine realen. Sie sind und bleiben Sehnsuchtsorte, die nie ganz das erfüllen, was sie aus der Ferne versprachen. So wohl auch die Insel Berlin. Der Zugang zu den großen Bühnen ist nicht so einfach, die Aussprache des Wortes "Schlesisches Tor" bleibt schwierig und die Kreuzberger Bubble ist in ständiger Veränderung begriffen. Wenn Daniel Brunet den Abend als "eine Meditation über Inseln" beschreibt, trifft das die Performance ziemlich gut, aber dennoch nur zum Teil. Es sei denn, man denkt an eine, die mit Punkmusik, Anekdoten und Performancekunst angereichert ist.
Birgit Schmalmack vom 4.7.21