Sie sind hier: berlintheater 20/21

Intime Konfrontation

Selfportrait, TD © Heinz Holzmann


Die Perspektive wird mehrmals gewechselt werden. Vom Betrachtenden zum Betrachteten, vom Zuschauenden zum Beobachteten. Sie werden so blitzschnell wechseln, so dass man sich nie sicher sein kann, welche gerade die aktuelle ist. Etliche Stationen der Selbsterkenntnis sind so zu durchlaufen. Zuerst die, ob man tatsächlich wie gehofft, Coronavirenfrei ist. Dann sitzt man in einem grell erleuchteten Raum in strahlendem Weiß auf einem Stuhl, gegenüber einer Menschmaschine in rotem Kleid, die in graziöser Pose die Beine übereinander geschlagen und die rot lackierten Finger elegant drapiert hat. Doch statt eines Kopfes starren einen zwei Kameraaugen an. Über den Kopfhörer wird man begrüßt. Eine laszive Stimme verrät: Man sei in Paris, oh lala, im Jahre 1958, sie habe sich den Namen Caroline gegeben und man selber sei der Maler Giacometti, für den sie heute Modell sitzen würde. Oder auch mehr? Als man dann aufgefordert wird, die VR-Brille aufzusetzen, die auf einem Tischchen bereitliegt, ist die Menschmaschine namens Caroline verschwunden. Der Stuhl ist leer. Eine Illusion? Doch dann sitzt man sich selbst gegenüber. Und bekommt Fragen gestellt: "Bist du auch nur ein Traum? Nein, das ist die Realität. Wolltest du so werden? Sieh dir in die Augen. Das bist du. So bist du also geworden. Etwas älter als zu vor." Dann geht die zweite Tür auf und man bekommt auf der Bühne einen Stuhl zugewiesen. Von einer Frau (Sophie Hutter ) im roten Kleid und roten Plastikschlappen. Noch trägt sie eine dicke weite Jacke. Während nun der nächste Besucher den weißen Raum betritt, in dem man jetzt von außen Einblick hat, spielt die Frau ein Wechselspiel zwischen mit Zwischenbotschaften. Während sie nun dem nächsten Kabinen-Besuchenden die Anweisungen und Fragen stellt, macht sie gleichzeitig dem direkt ihr gegenüber Sitzenden Angebote, scheinbar, um sie gleich darauf brüsk zurückzunehmen. Dann schaut sie einem direkt in die Augen und wiederholt die Fragen, die einem gerade eben in der Kabine gestellt wurden, noch einmal, doch jetzt kann man ihnen nicht mehr ausweichen. Wolltest du so werden? Das sind deine Augen, während man in ihre blauen Augen blickt.
Danach darf man auf der Zuschauertribüne Platz nehmen. Nun ist man Zuschauer dieser zwei Performances. Man hat den vollen Blick auf die Kabine und den nächsten Stuhlbesitzenden auf der Bühne. Das Reflektieren des eigenen Bildes, des Fremdbildes, des Bildmachens beginnt automatisch. So virtuos sind die verschiedenen Ebenen dieser Inszenierung des Kollektives RAUM+ZEIT (Juliane Hendes, Lothar Kittstein und Regisseur Bernhard Mikeska) miteinander verwoben und mit scheinbar einfachen Mitteln, die so geschickt aufeinander abgestimmt sind, dass man den dahinter stehenden Fragen nicht ausweichen kann. Die Effekte der virtuellen Konfrontation sind wirkungsvoll mit denen der realen vermischt. Distanz und Nähe sind exakt ausbalanciert. Das gelingt auch, weil die Schauspielerin, deren Stimme stets live ist, wie man auf der Bühne feststellt, in ihrer Situationsbezogenheit und Präsenz sich sowohl über ihre Stimme wie auch über ihre Körperlichkeit wunderbar transportiert. Genau dieses Live-Erlebnis macht diese Erfahrung so besonders. Das weiß man nach diesen vielen Streaming Zeiten umso besser.
Birgit Schmalmack vom 3.4.21