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Das kann Theater


"Immer wenn ich unter der Dusche stehe, kommen die Erinnerungen hoch". Naomie ist mittlerweile in Berlin und in Sicherheit, doch ihre Erlebnisse verfolgen sie. Schon als Kind wollte sie Fußball spielen, unmöglich als Mädchen in einem Dorf in Kamerun. Als ihre Tochter beschnitten werden soll, flieht Naomie mit ihr. Als ihr Boot bei der Überfahrt übers Mittelmeer Schiffbruch erleidet, ertrinkt ihre Tochter, nur Naomie wird gerettet. Seitdem lassen sie ihre Schuldgefühle nicht mehr los.
Yassin musste mit seiner Familie aus Syrien fliehen, weil er sich im Zuge der Revolution als Helfer für die Aufständischen engagiert hat. Nur durch das "Alarmphone" kommt er mit seiner Familie heil an das rettende Ufer. Später wird er selbst zu einem Mitglied bei diesem Telefonrettungen.
Vor den vier Mikrophonen auf der Bühne stehen zwischen den beiden Geflüchteten zwei Fluchthelfer*innen: eine Aktivistin von "Alarmphone", die über das Telefon Rettungsaktionen von in Seenot geratenen Flüchtlingen koordiniert, und ein Aktivist der Seawatch, der die Menschen vor dem Ertrinken zu retten versucht.

Regisseur Michael Ruf hat für seinen Abend Interviews mit Geflüchteten und Aktivitist*innen geführt und diese zu einem weiteren Teil seiner Monolog-Reihe komponiert. Kunstvoll ineinander verwoben sind die vier Erzählungen. Sehr geschickt ist auch der Soundstream durch die beiden Live-Musiker*innen am Klavier und Cello arrangiert. Mal steigert er sich dramatisch, mal schweigt er in völliger Stille.
So bleibt die Spannung ständig auf einem hohen Level. Aus Schicksalen, von denen vielleicht in den Medien anhand von Zahlenmaterial berichtet wird, werden Menschen, die man persönlich kennen lernt. Genau das kann Theater schaffen.
So macht der Abend die Ungerechtigkeit, die sich auf dem Mittelmeer abspielt, schmerzlich deutlich. Da an jedem Abend nach der Vorstellung Expert*innengespräche stattfinden, ist eine multiperspektivische Einschätzung der Lage möglich. Rufs Konzept geht im großen Saal des Heimathafen vor gut besetzten Reihen voll auf. Auch unter den neuen Hygienebedingungen konnten die Erzählungen die Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum leicht überbrücken und betroffen machen.
Birgit Schmalmack vom 23.9.20