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Chorus never dies

An App for one person, Gorki



Wie zu einer Mission schreiten die Tänzer*innen auf den Platz vor den Kiosk-Schaufenstern direkt am Gorki-Hinterhof. Und sie haben eine: Sie wollen ergründen: Wie kann Gemeinschaft in der Stadtgesellschaft erfahren werden in Zeiten von Corona? Wie kann ein Chor wieder zusammen singen, wenn genau diese Aktivitäten verboten sind?

Direkt singen geht nicht. Also kommt die Stimme aus einer Box, die sie sich umschnallen. Das beschränkt nicht nur sondern erlaubt auch neue Möglichkeiten: Der folgende Kanon ertönt mit Stimmen wie von Mickey Mouse, Bruce Lee und anderen Comic- und Hollywood-Held*innen. So bilden sie mit ihren Slogans wie „Zusammen sind wir stark„ den Stimmenchor der letzten Zeit. Immer lauter und unverständlicher werden die Botschaften. Dann bricht das Stimmengewirr plötzlich ab und der Beat startet. Die Performer fangen an ihre Hüften zu shaken. Der Rhythmus macht alle Worte überflüssig und bringt sie alle in denselben Modus. Doc die kurze Phase der Gemeinschaft löst sich schnell wieder auf. Einer nach dem anderen verschwindet in den Innenraum des Kiosks. Nun teilen sie nicht mehr denselben Raum wie die Zuschauer*innen sondern sind durch eine Glasscheibe von den ihnen getrennt. Die Musik treibt sie zu immer neuen Tanzbewegungen an. Ihre Moves sind hektisch und selbstbezogen. Sie reiben sich an den Pfeilern, an den Scheiben, am Boden. Sie werden durchgerüttelt, doch bleiben auf Abstand. Tanzen ist zurzeit ebensowenig ein Gemeinschaftserlebnis wie Chorsingen.

Dann stehen sie plötzlich da und stimmen in der letzten Zeit gut eingeübte Hymne auf die viel beschworene Solidarität an. Um gleich danach auszurufen: „Ich kann es nicht mehr hören„, und sich vor lauter Ekel zu schütteln.

Eigentlich sind sie doch ein Chor! Auf den Scheiben steht es schließlich geschrieben: „Chorus never dies!„ Doch die Sicherheitsregeln lassen es nicht zu. So stellt sich nur ein einzelnen aus ihren Reihen vor den grauen Mittelcontainer und singt: „Ein Lied geht um die Welt„.

Marta Gornicka hat es wieder einmal geschafft mit einer neuen Inszenierung eine Stimmung der Stadtgesellschaft so einzufangen, dass das intensive Ergriffenwerden sich sofort auf die Zuschauer*innen überträgt. Sie erzeugt ein Nachdenken sowohl auf der Ebene der Emotionen wie des Verstandes. Ihre Performances haben so viele Ebenen, dass man sich nach dem Ende wünscht, gleich in die nächste Aufführung gehen zu dürfen. Da liegt auch an den speziell für diese Form gecasteten Performer*innen, die aus der Stadtgesellschaft stammen und mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten und Fähigkeiten die Intensität der Performance bilden. Nach dieser Aufführung weiß man wieder, was alle so vermisst haben, als die Theater geschlossen waren.

Birgit Schmalmack vom 16.9.20