Ein theatrales Gesamtkunstwerk

Das Bellen der Hunde, Monsun © G2 Baraniak

"Zu suchen ist Ihre Bestimmung.
Zu finden ist die Unsere. Die Welt ist ein Dickicht von Informationen.
Wir filtern sie für Sie. Wir erinnern uns an alles, an alles, was uns gegeben wurde.
"
So verspricht es die anonyme Stimme aus dem Off.
Derweil sitzen die beiden Protagonisten, Vater (Michael Bideller) und Sohn (Sven Fricke), beide in ihren Echokammern auf der Bühne. Der Sohn arbeitet bei den Öffentlich-Rechtlichen und der Vater ist in seine rechtsnationale Querdenkerszene im Netz abgerutscht. Beide glauben sich im Besitz der Wahrheit. Das direkte Gespräch klappt bei ihnen schon lange nicht mehr. Zu sehr haben sich die beiden voneinander entfernt. Nun versucht es der Sohn über einen Bot. Erst spät merkt auch er, dass dieser dabei Wissen über ihn selbst abgreift. Wie meinte die Stimme aus dem Off so schön: "Sie haben unsere volle Aufmerksamkeit! Dazu benötigen wir nichts weiter als ihre Daten." Und die werden bereitwillig geliefert, von beiden Seiten. So werden Bilder und Informationen aus der Familiengeschichte geteilt. Da fühlt man sich gesehen und gehört. Die KI gaukelt die perfekte Gesprächspartnerin vor. Sowohl beim Sohn wie beim Vater. Fast scheint sich ein Verständnis entwickeln zu können. Und doch ist alles nur eine perfekte Täuschung, wie der Vater zum Schluss feststellen muss. Als er merkt, das die Aufmerksamkeit des Bots von seinem Sohn in Auftrag gegeben wurde, greift er endlich zum Telefonhörer und sucht den direkten Austausch. Doch da ist es schon zu spät.
Das neue Stück von Michael Müller, das Francoise Hüsges am Monsun Theater auf die Bühne gebracht hat, könnte aktueller kaum sein. Und die Bühneninstallation kaum anspielungsreicher. In vier voneinander getrennten Kammern bewegen sich Vater und Sohn flankiert von je einer Sound- und Videokünstlerin, die live Bild- und Soundmuster auf das Bühnenbild werfen. In ständigem Geflimmere der Linien und Wellen, in stetiger Bilderprojektion zu immerwährender Soundberieselung wird die Einwebung in die Netzwelt erlebbar. Dazu die Vater-Sohn-Geschichte, die weit entfernt ist von Stereotypen und sich deshalb erst nach und nach erschließt. Das ist sehr kunstvoll inszeniert - eine große Leistung für eine Off-Bühne. Großes Theater auf kleiner Bühne.
Birgit Schmalmack vom 21.12.22