Das Haus brennt!
Auf jedem Stuhl liegt ein Pflasterstein. Obwohl täuschend echt aussehend, eine Pappattrappe. Wozu er jedoch noch gebraucht wird, wird erst im Laufe des Stückes klar. Zunächst geht es allerdings nicht um Protest, eher um das Gegenteil davon. Drei Menschen versuchen zu funktionieren, in diesem System des einsamen Immer-Höher-Immer weiter. Da ist eine junge Schauspielerin (Christina Hilkens), die erst nach dem gescheiterten 700.Vorsprechen anfängt, an ihrem Vorhaben Schauspielerin zu werden zu zweifeln. Obwohl sie sich die ganze Zeit von einem Nebenjob zum nächsten hangeln musste, um wenigstens die Miete für ihr tiny house zusammen zu kratzen, glaubte sie fest an ihren Traum. Da ist die Biotechnik-Wissenschaftlerin (Luise Schnittert), die unter einer Berufsbezeichnung, die nicht einmal sie versteht, jeden Tag in ihrem Büro acht Stunden lang nichts tut und dennoch pünktlich ihr Gehalt bekommt. Abends flüchtet sie sich in ihre Wohnung in den 11. Stock und genießt die von menschlichen Besuchern unversehrte Ordnung ihres Rückzugsortes. Als jedoch ihre todkranke Mutter dort für ihre letzten Wochen mit einziehen muss, flüchtet sie auch vor dieser menschlichen Begegnung. Und da ist der immer agile Immobilienunternehmer (Urs Fabian Winiger), der schon im Kindesalter wusste, dass er einst Millionär werden will. Endlich weiß er nun auch wie: Er hat den maroden Gebäudekomplex, bestehend aus einem Betonsockel aus Geschäften und einem Turm aus Büros und Wohnungen erworben und will ihn sanieren. Ein Projekt mit hoher Renditeaussicht. Wenn bloß die aufkeimenden Proteste der Anwohner und Bürger nicht wären. Unter ihnen sogar sein eigener Sohn (Quintus Hummel). Als ihm die schon erwähnten Pflastersteine um die Ohren fliegen, fühlt er sich völlig missverstanden. Das ist doch ein Sozialprojekt, ruft er immer wieder.
Eierköpfe kommentieren das Geschehen. Wie ein Chor aus verschiedenen Stimmen betrachten sie die Absurditäten auf dem Kreisel und schütteln die Köpfe. Beobachtenden Nichtstun ohne jede Übernahme von Verantwortung auch hier.
Alle diese drei finden sich kurz darauf an einem stillen Örtchen wieder: In dem Klos der vierten Etage. Hier sitzen sie in ihren Kabinen nebeneinander und dürfen endlich den Fremden nebenan, die sie nicht sehen können, ihr Herz ausschütten. Für einen kurzen Moment leuchtet so etwas wie Solidarität, Mitmenschlichkeit, Kontakt und sogar eine Utopie auf. Vielleicht steigen sie aus diesem wahnwitzigen Leistungskreislauf in dem Gebäudekomplex, der nur der Kreisel genannt wird, einfach aus und gründen eine Wohngemeinschaft? Während der Sohn im Hintergrund noch das Glitzerkonfetti streut und die Diskokugel aufhängt, grinst er schon verschmitzt. Er hat mit seinen Aktivisten dafür gesorgt, dass aus diesem Traum nichts werden kann. Das Haus brennt schon! Denn während die Drei sich hier abrackern, hat die nächste Generation schon die Fakten geschaffen. Sie hat das Publikum mit den Pflastersteinen versorgt, sie hat die Bevölkerung auf die Barrikaden gerufen und sie hat selbst für den eigenen Notausgang gesorgt, wenn ihre Vorgänger:innen ihre Zukunft auf diesem Planet hier unmöglich gemacht haben werden. Sie werden sich aufmachen in neue Welten. Der Raumanzug deutet an, wohn die Reise gehen könnte.
In einer Kooperation zwischen dem Theater unterm Dach und dem Monsuntheater ist eine erneute Zusammenarbeit entstanden mit Hamburger und Berliner Beteiligung entstanden. Johanna Hasse zeichnete dieses Mal für das Regiekonzept und Francoise Hüsges für das Ausstattungskonzept zuständig. Der Text der jungen Autorin Annika Henrich ist eine echte Entdeckung. Nicht nur dass sie in ihm die Problematiken der Einsamkeit in der heutigen Leistungsgesellschaft und die menschenverachtenden Entwicklungen der Immobilienwirtschaft gekonnt zuspitzt sondern auch die Sprache, die sie dafür verwendet, zeugt von großem Schreibtalent. Dass Hasse diesen Stoff auch noch mit ihrem Berliner Team um einen Unterhaltungswert anreichert und mit dem Hamburger Musiker und Schauspieler eine verschmitzte Metaebene mit einzieht, macht den Abend umso sehenswerter.
Birgit Schmalmack vom 23.5.22
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