Der Sohn, St.-Pauli Theater



Schöne Fassade

Nichts. Egal. Das ist die zwei kurzsilbigen Antworten, die Nicolas (herausragend in seiner Zerrissenheit: Dennis Svensson) seinem Vater (jovial wie stets: Herbert Knaup) gibt, als er ihn nach seinen Gründen für seinen Rückzug gibt. Monatelang hat er der Schule geschwänzt und das kurz vor dem Abitur. Die getrennt lebenden Eltern (ohnmächtig als Mutter: Johanna Christine Gehlen) sind fassungs- und ratlos. Besonders den Vater, der seine Familie für eine jüngere Frau (gewollt verständnisvoll: Sinja Dieks) verlassen hat, treibt Nicolas Verhalten in Gewissenkonflikte, die er nun mit umso mehr Einreden, Zureden und Druck Ausüben ausgleichen möchte. Er nimmt Nicolas zu sich, obwohl er mit seiner neuen Partnerin gerade ein Baby bekommen hat. Als er einzieht, kippt Nicolas einen zerbeulten Karton voller Kinderspielzeug ins Wohnzimmer. Da hockt Nicolas nun auf dem Kanapee und ist auch unter den neuen Umständen schwer dazu zu bewegen, sich zusammen zu reißen und "normaler" zu werden. Ich habe keine Lust zum Kämpfen, bekennt er. Wozu auch? Das Leben widere ihn an.
Der erfolgsverwöhnte Anwalt mit Ambitionen in die Politik aufzusteigen gibt sich redliche Mühe, doch sein enger Zeitplan erlaubt nur kurzes Zuhören und Reden. Zu wenig um seinen Sohn zu verstehen. Seine Ansagen können den Jungen nicht erreichen. So gaukelt Nicolas auch dieses Man den Gang zur Schule nur vor. Als der Vater das erfährt, reißt ihm endgültig die Geduldsschnur und die Eltern sitzen kurz darauf in einem Krankenhausflur. Ihr Junge hat sich versucht das Leben zu nehmen.
Nach "Der Vater" behandelt der Autor Florian Zeller in der "Der Sohn" wieder einmal eine Krankheit, die durch die Familie aufgefangen werden soll. Nach der Alterskrankheit Demenz ist nun die Depression von Jugendlichen das Thema seines Theaterstückes. Wieder ist im St- Pauli Theater eine stilvolle, fast leere Altbauwohnung mit hohen hellen Decken der Bühnenort (Bühne: Raimund Bauer). Wie von Geisterhand verschieben sich von Szene zu Szene die Säulen und geben so ein Sinnbild für die unmerklichen Verschiebungen in der Seele der Sohnes.
Alles wird gut! Vertrau mir! betont der Vater immer wieder. Als Macher ist er es gewohnt schnelle Lösungen zu finden. Doch diese Herangehensweise scheitert bei seinem Sohn. Dieser ist durch die Trennung seiner Eltern schwer verunsichert und traumatisiert. Wie fatal es ist, die Augen vor den Abgründen der Wirklichkeit seines Kindes zu verschließen und mit gutbürgerlicher Fassadentechnik zu übertünchen, zeigt Zeller mit diesem Stück. Regisseur Ulrich Waller verlässt sich ganz auf sein souverän agierendes Schauspielerteam. Sehr texttreu verzichtet er fast völlig auf Meta-Ebenen, die in der Bühne aber durchaus angelegt gewesen wären. Doch das schadet dem Stück nicht. Die kurzen prägnanten Dialoge geben auch so genügend Stoff zum Nachdenken.
Birgit Schmalmack vom 7.11.19