Erinnerungen in schwarz-weiß
Wie entstehen Traumata? Wenn ein vierjähriger Junge auf dem Balkon spielt, ein leichtes Pfeifen hört, sich daraufhin im Krankenhaus wiederfindet, bewegungsunfähig, sterbenskrank und dann erfährt, dass seine beiden Eltern tot sind? Dann hinterlässt das nicht nur körperlich einen bleibenden Schaden. Wie er dennoch überlebte, mit seiner Großmutter nach Deutschland ging, dort durch intensive Behandlung und Therapie wieder laufen lernte und anschließend wieder nach Jugoslawien zurückkehrte. Das erzählt er in den Worten, die ihm möglich sind. Zwar ist er heute erwachsen, doch über seine Gefühle kann er kaum reden. Höchstens dass er ein schwieriges aggressives Terrorkind gewesen sei. Auch am Grab seiner Eltern kann er nicht weinen, er verbittet sich vielmehr, dass es die anderen in seiner Gegenwart tun. Doch als er das erste Mal in Deutschland Silvester miterleben muss, kann er nur schreiend unter einen Tisch kriechen und sich die Ohren mit einer Bettdecke zuhalten. Zu sehr erinnern ihn die Raketen an die Bomben in seiner Heimatstadt.
Für den kleinen Jungen, für den danach nichts mehr so ist, wie zuvor, ist Batman das erklärte Idol. Die Welt von Batman ist schwarz-weiß. Jederzeit weiß man bei ihm, wer gut und wer böse ist. Das ist auch im Krieg so. Die Welt ist klar unterteilt in Freund und Feind. Auch die auf die riesige Leinwand projizierten Fotografien von Armin Smailović sind ebenfalls schwarz-weiß, aber alles andere als klar. So auch die mühsam hervorgeholten Erinnerungen, die die zwei Männer, die zunächst an einem Tisch an der Seite sitzen, in dem Stück "Traum(a)“ rekonstruieren. Es sind Alen Šimić, der selbst im Bosnienkrieg seine Eltern verlor und schwer verletzt wurde, und der Schauspieler Drazen Pavlović, der dessen autofiktionale Geschichte auf der Bühne vorträgt. Doch diese Annäherung bleibt vorsichtig, fast distanziert. Nie branden Emotionalitäten auf. Rein beschreibend versucht der nun erwachsene Junge seine Erinnerungen zu sortieren und damit die verschwommenen Bilder zu verstehen.
Der Regisseur Branka Šimić stellt sich ganz in den Dienst der Geschichte des Jungen, dessen Leben durch den Krieg ein anderes wurde. Er verzichtet weitgehend auf theatrale Inszenierungsmittel. Weder schafft er eine explizite Bühnensituation noch lässt er den Schauspieler Drazen Pavlović seine Rolle ausagieren. Sehr schlicht lässt er die Geschichte von Alen Šimić und die Bilder des Fotografen Armin Smailović aus dem ukrainischen Kriegsgebiet auf die Zuschauer wirken.
Letztere werden dabei so übereinander geblendet, dass die einzelnen nicht mehr zu identifizieren sind. Ganz so, wie nicht scharf von einander zu trennende Erinnerungen in Albträumen zu einem Stimmungsbild verschwimmen, das nicht zu analysieren und damit auch nicht zu bearbeiten und zu verstehen sind. So kann aus einem erlebten und nicht verstandenen Albtraum ein Trauma werden, das sich nicht in den Griff kriegen lässt. Am Schluss übernimmt Alen Šimić selbst und liest den letzten Teil seiner Geschichte vor, bis er leicht hinkend von der Bühne geht. So bleibt die Geschichte wie ein Traum, den man höchstens an der inhaltlichen Oberfläche greifen kann, dessen Abgründe aber nur zu erahnen sind.
Birgit Schmalmack vom 22.4.24