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„Alles ist ganz sonderbar“, findet Fräulein Julie (Judith Rosmair). Ihre Träume passen nicht zur Wirklichkeit, in der sie lebt. Sie würde sich so gerne fallen lassen und fürchtet sich doch vor den Konsequenzen. So spielt sie lieber, am liebsten mit den Männern, die sie eigentlich verachtet. Ist sie doch von ihren adligen Eltern zu einer Frau erzogen worden, die sich nie zum Sklaven eines Mannes machen sollte. So lässt sie die Männer nach ihrer Pfeife bzw. Reitgerte tanzen. Ihr Diener Jean (Dominique Horwitz) soll einer von ihnen werden. Doch beim ihm gerät sie an den Verkehrten. Ihr gemeinsames Spiel wird bitterer Ernst. Jean verehrte schon seit langem die für ihn bisher stets unerreichbare schöne Grafentochter und wittert nun die Möglichkeit zum Ausbruch aus seinen beengten Verhältnissen. Der Abstand zwischen den Beiden ist unübersehbar. Die Gräfin stolziert oben auf dem Absatz vor den stilvollen Altbautüren und Wänden mit ihrer Reitgerte herum, während Jean unten auf dem Boden zwischen heruntergefallenem Laub ein paar Tanzschritte übt. Ein aus glattem Edelstahl gefertigter, mannshoher Absatz trennt ihn von der verführerischen Gräfin. Doch er ist nur sehr schmal. Auch für die Gräfin droht der Absturz stets. Im Laufe des Spiels zwischen den Beiden werden sie immer wieder die Positionen wechseln. Jean wird den Absatz erklimmen, ebenso wie die Gräfin herabspringen wird. Sicher ist ihr Standort in keinem Moment. Davon lebt das Stück von August Strindberg. Hier spielen Julie und Jean Katz und Maus. Zuerst sind die Rollen klar verteilt: Sie ist die Herrin und er der Befehlsempfänger. Doch schon bald werden auch Julies wunde Stellen bloßgelegt und Jean bekommt Oberwasser. Solange bis Julie sich an ihre Prinzipien erinnert und wieder das Zepter in die Hand nimmt. Doch zum Schluss hat Jean trotz seiner niederen Herkunft die besseren Karten: Er ist ein Mann. Julie ist dagegen eine entehrte Frau, der eigentlich nur noch der Ausweg in den Selbstmord bleibt. Das Stück scheint aus der Zeit gefallen. Standesunterschiede der gezeigten Art gehören der Vergangenheit an. Selbstbestimmter Sex ist auch für Frauen wählbar. Doch Klassenunterschiede können auch heute noch zum Teil unüberwindliche Hindernisse darstellen. Regisseur Thorsten Fischer verzichtet in seiner Inszenierung am Berliner Renaissancetheater, mit dem die beiden Darsteller:innen deutschlandweit auf Gastspiel gehen, jedoch darauf, das Stück inhaltlich zu aktualisieren. Auch bei ihm ist Jean nicht zur Schule gegangen und die Gräfin ist ihm nicht nur finanziell überlegen. Und Julie steht nach der mit ihm verbrachten Nacht vor dem Ruin ihres gesellschaftlichen Lebens und greift immer wieder in ihre Handtasche, in der sie ihre Pistole aufbewahrt. Fischer verlässt sich ganz auf die hervorragende Besetzung der beiden Rollen: Rosmair und Horwitz beherrschen den sekundenschnellen Wechsel zwischen Unterwürfigkeit und Überlegenheit, Aggressivität und Angst, Siegesgewissheit und Panik perfekt. Bevor das Machtgerangel langweilig werden könnte, ist das knapp einstündige Stück vorbei. Fischer arrangiert mit seinen beiden Schauspieler:innen das Timing so perfekt, dass der Abend bis zum Ende spannend, interessant und kurzweilig bleibt. Birgit Schmalmack vom 1.4.24
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Fräulein Julie, Kammerspiele Foto: Daniel Devecioglu.
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Was war was wird, Kammerspiele
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