Haus am See
Die Mutter (Catharina Fleckenstein) bügelt die Wäsche in ihrem geblümten Petticoatkleid, der Vater (Tom Pidde) schneidet die Buchsbaumkugeln im Garten. Schön hat die kleine Familie es in ihrem Haus am See. Sie haben alles Erträumte erreicht. Geschafft haben sie es in den auserwählten Zirkel der Erfolgreichen zu kommen.
Dass die sechszehnjährige Tochter (Ines Nieri) kein Wort mehr mit ihnen spricht, nur mit ihrem Joystick Ballerspiele bedient und immer wieder wortlos aus dem Haus stürmt, kann die Mutter noch ignorieren. Dass ihr Mann allerdings 3,4% weniger Leistung in seinem Job bringt, 4,2% weniger Witze erzählt und 12,2% weniger häufig lacht, muss sie beunruhigen. Denn sie weiß, was als Folge passieren könnte: Er verliert seinen Job und die Familie muss wieder nach draußen ziehen. Was ihnen dort droht, davon zeugen die Schüsse, die stets von jenseits des Zaunes zu hören sind und die Rauchfahnen, die herüberziehen. Doch vielleicht ist auch die Tochter der Risikofaktor? Vielleicht lässt sie das Tor nachts offen und sorgt dafür, dass Gefährder in die Gated Community eindringen können? Die Pubertierende hat nämlich schon lange genug von der umzäunten Langeweile der alles kontrollierenden, immer lächelnden Zwangswohngemeinschaft.
Falk Richter hat in seinem Stück "Ausnahmezustand" das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, die alles dafür getan hat, um das Glück zwischen vier Gartenzäune zu pressen und nun statt Zufriedenheit und Freude Angst vor dem Einbruch der Realität in ihre Pseudo-Idylle empfindet.
Regisseurin Friederike Barthel hat im Hamburger Sprechwerk mit viel Gespür für die Zwischentöne diese prägnante Gesellschaftsanalyse auf die Bühne gebracht. Das gelingt nicht zuletzt dank der guten Besetzung der drei Rollen. Auch das Bühnenbild macht die Überwachung durch die Nachbar deutlich: Die Wände des Hauses sind nur Linien auf dem Boden, alles ist jederzeit für jeden zu beobachten. Ein sehr aktuelles Stück in der Stadt in Deutschland, die nach Berlin zur zweit-smartesten City gekürt worden ist.
Birgit Schmalmack vom 29.05.16