I am mad as hell, I can't take it anymore
Auf der Drehbühne kreisen die Agitationskabinen in orangenem flashigen Siebziger-Jahre-Design. Hier routiert das Business des TV-Geschäfts. Der Stoff des Filmes "Network" von Paddy Chayefsky stammt aus dem Jahre 1976. Trotzdem ist der Inhalt ziemlich aktuell, dass nur die Ausstattung an seine Entstehungszeit erinnert. In der Satire, die vielleicht einfach die Realität abbildet, geht es um Einschaltquoten, Skandale, Aufmerksamkeit und viel Geld. Und nicht etwa um Information oder gar Wahrheit.
Dabei soll in diesem Studio eigentlich eine Nachrichtensendung produziert werden. Hier sitzt seit 25 Jahren Howard Beale als Moderator hinter seinem Desk, an dem er die News verkündet und kommentiert. Seine Nachrichtensendung ist allerdings beileibe kein Quotenbringer für seinen ohnehin defizitär arbeitenden Sender "Network". Daher erhält er eines Abends überraschend seine sofortige Kündigung. Seine Reaktion: Er verkündet in seiner vorletzten Sendung, dass er sich bei seiner Abschiedsausgabe vor laufender Kamera das Leben nehmen werde. Sofort schnellen die Quoten nach obern und der Sender wittert ein Geschäft. Beale soll bleiben. Doch statt sich umzubringen, schimpft, flucht und wütet er gegen die Verlogenheit der Gesellschaft. Er wird zum wütenden Propheten, der die Wut, den Frust und die Ohnmacht der Zuschauer hinausschreit. Demokratie sei ein verrottetes Konzept, alle Beteiligten seinen nur noch Schachfiguren im großen Netzwerk, verkündet er. Er tritt an zum Rachefeldzug gegen die Heuchelei dieser Welt, an der er selbst jahrzehntelang beteiligt war.
Seine Botschaft: Die Moral ist nicht unser Geschäft sondern der Skandal. Die Wahrheiten werden gewechselt wie die Krawatten, die die Moderatoren tragen. "Geht raus auf die Straße und ruft: I am mad as hell, I cant take it anymore!", fordert er die Zuschauer auf. Beale entlarvt so das Mediengeschäft, indem er sich auch selbst demontiert.
Doch es geht in diesem Stück nicht nur um den Ancorman Beale (Wolfram Koch), sondern auch um seinen Chef (Felix Knopp), der ein Newsmacher alter Schule ist. Nach Selbstaussage, "ein markanter Mann mittleren Alters", objektiv betrachtet ein dicklicher, ungesund wirkender Ehemann mit schütterem fettigen Haar, der seine besten Jahre schon länger hinter sich gebracht hat. Der sich aber ausgerechnet in die hübsche, eiskalte, kalkulierende Produzentin (Christiane von Poelnitz) verliebt und bei ihr die echten Gefühlen sucht, zu denen sie sicher nicht in der Lage ist. Doch auch alle ihre jeweiligen Chefs, die Techniker und die Reporter drehen sich mit auf dem grellbunten Nachrichtenkarussell.
Regisseur Jan Bosse hat all diese Charaktere auf der Drehbühne wunderbar in Szene gesetzt. Sie werden von dem exzellenten Thaliaensemble gleichzeitig herrlich überzogen und geschickt analysiert, dass man nur begeistert ausrufen kann: Das ist genau das, wofür man früher ins Theater gegangen ist. Hier ist an nichts gespart worden.
Alles wie in den guten alten Zeiten auf höchsten Thaliastandard: Ein Orchester mitten auf der Drehbühne spielt live den Soundtrack. Die Kostüme sind herrlich überdreht. Die Dekoration jedes einzelnen Kabinetts mit seinen geschwungenen orangenen Waben-Raumteilern ist detailreich mit Weltzeituhren, Telefonen oder Lampen ausgestattet. Eine tolle Inszenierung, in der alles stimmte, jedenfalls fast alles. Außer vielleicht eines: Wissen wir das alles nicht schon längst und hätte Bosse dem Publikum nicht verraten sollen, was ihn heute noch an diesem Stoff interessiert?
Birgit Schmalmack vom 21.02.22