Immer lächeln
Die Salatköpfe dürfen sich fühlen wie in einem Urlaub auf Sylt, aber die Supermarktkassiererinnen haben nicht mal einen Rückzugsraum. Sie kassieren, zeichnen auf, räumen ein, fahren morgen schon um kurz nach 5 los, beantworten alle Fragen und bekommen doch gerade so viel Geld, dass sie es für Lebensmittel, eine billige Hose und ein Paar Schuh mit dünnen rutschigen Sohlen gleich wieder im Supermarkt ausgeben können. Zu mehr reicht es nicht. Und dennoch: Das Monatsende ist der Zeitpunkt, auf den dieser Job zustrebt. Hier erwartet sie die Belohnung für die eintönige, immer gleiche Arbeit. Zehn sehr unterschiedliche Frauen sitzen auf ihrem Podest an vorderen Rande der Bühne, beleuchtet von Neonröhren und scannen die Waren in Dauerschleife ein. Das ständige Piep Piep ist ihr Begleiter durch den Tag. Eine Oper der Supermarktkassiererinnen haben Vaiva Grainytė, Lina Lapelytė, Rugilė Barzdžiukaitė kreiert. Sie stellt die Frauen in den Mittelpunkt, die in der Pandemie als systemrelevant erkannt wurden und die Versorgung zu jedem Zeitpunkt aufrechterhielten. Doch für sie klatschen keine Menschen auf ihren Balkonen wie für das Pflegepersonal. Jetzt haben sie hier ihren Auftritt. Doch auch der bleibt bescheiden. In ihren Arbeitsschürzen zu hellblauer Bluse sitzen sie wie auf ihrem Stuhl festgeklebt. Nur manchmal schaukeln sie leicht mit ihrem Oberkörper zu ihrem Gesang. Denn ihr individueller Bewegungsradius ist klar abgegrenzt. Hundertmal mal am Tag sprechen sie ihre Begrüßungs-und Verabschiedungsformeln, die ihnen vorgegeben sind. Einstudiert ist hier alles, klar dem Leistungsprinzip und den Kundenwünschen untergeordnet. Die Frauen werden zu austauschbaren Nummern. Dennoch schälen sich im Laufe der Oper ein paar individuelle Züge von einzelnen heraus. Da ist die eine, die immer einen Carpe-Diem-Spruch auf den Lippen hat. Eine, keinem Flirt abgeneigt ist und ihre karge Freizeit für Bäder und Schönheitsmasken verwendet. Eine, die mit ihrer Familie andere Feiertage begeht und sich hier in diesem Team fremd fühlt. Und die Kunstgeschichtsstudentin, die mit ihren Kolleginnen kein gemeinsames Gesprächsthema findet.
Die Eintönigkeit, die den Alltag dieser Frauen bestimmt, wird durch die Komposition dieser Sprechgesangoper in Noten gefasst. Jedes Lied hat nur wenige Melodieelemente, die ständig wiederholt werden. So überträgt sich dieses Gefühl der Endlosschleife eindrücklich auch auf die Zuschauer:innen. Dieser Abend strapaziert in seiner völlig statischen Anlage und fast fehlenden Dramaturgie die Geduld des Publikums ebenso so sehr wie der Alltag die der Kassiererinnen. Das Regiekollektiv versucht völlig neutral zu bleiben und sich politischen Kommentaren zu entziehen. Um dennoch so etwas wie eventuell herauslesbare Kritik unterzubringen, benutzt das Libretto poetische Formulierungen. Nur an einer Stelle wird die ewig gleichmütige Lächel-Fassade unterbrochen. Nämlich als eine der Frauen laut und fast kreischend von den Beschwerden der Kunden berichtet. Doch der warme Regen am Monatsende deckt auch diese wieder sanft zu.
Als sich zum Schluss plötzlich Baulärm unter die Töne mischt und das Licht anfängt zu flackern, scheint sich eine Veränderung anzukündigen. Welche, das bleibt allerdings der Fantasie des Publikum überlassen. Denn nach einer knappen Stunde ist dieser Einblick in die Monotonie des gelebten Konsumierens völlig abrupt zu Ende.
Birgit Schmalmack vom 7.2.22