Bloß Rädchen im Getriebe



In einem Zwischenreich der Bürokratie sind die drei Menschen, die sich hier im mexikanischen Botschaftsgebäude in Marseille treffen, gelandet. Alles ist hell, clean, aufgeräumt, steril und völlig unmenschlich. Denn in diesem Botschaftsgebäude arbeiten keine Menschen mehr. Ein Paneel regelt die Anmeldung und Terminvergabe und die Interviews werden als Videoaufnahmen mithilfe von KI-gestützten Textbausteinen geführt. Niemand kann hier mehr direkt zur Verantwortung gezogen werden. Jede Menschlichkeit ist aus dem Entscheidungsprozess herausgezogen worden. Es ist ein Grenzraum der Ohnmacht und des Zufalls geworden. Obwohl sich hier Schicksale abspielen, die über Leben und Tod entscheiden, sind auch alle Gefühle der Menschen, die hier vorstellig werden, vollkommen herunter gedimmt. Auch ihre Beziehungen untereinander sind vorläufig und transitär. Häufig werden auch sie von der Zweckmäßigkeit bestimmt. Wer kann mir ein Visum verschaffen? Wer kann mir eine wichtige Information geben, damit meine Weiterreise gelingt?
Dieses galt nicht nur in den Zeiten des zweiten Weltkrieges in denen der Roman „Transit“ von Anna Seghers, der für diese Inszenierung die Grundlage bildete, sondern auch für die Gegenwart. Das macht der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani in seiner Überarbeitung des Stoffes und in seiner Inszenierung im Thalia in der Gaußstraße deutlich. Er transferiert die Fluchtbemühungen die Geschichten der Flüchtenden in eine technisierte Gegenwart, die die Entscheidungen auf Roboter delegiert und die Ohnmacht der Menschen, die von ihnen abhängig sind, noch steigert. Koohestani hält bewusst die Spannung aus seiner Umsetzung heraus. Denn gleich zu Beginn verrät er schon, wie die Geschichte ausgehen wird. Der namenlose Erzähler (Nils Kahnwald) verrät, dass den beiden Menschen, die er hier in der Botschaft trifft, zwar die Ausreise gelingen, aber ihr Schiff untergehen werde. Denn es geht dem Regisseur eher um die Darstellung der Gefühllosigkeit, der Entmenschlichung und der Absurdität des Geschehens als um die Psychologie der Schicksale. Dieser Ansatz hat zur Folge, dass das Einfühlen in die Emotionen und Beweggründe der drei Flüchtenden eher schwer fällt. So sehr sich Kahnwald, Toini Ruhnke und Oliver Mallison auch bemühen ihren Figuren Leben einzuhauchen, sie sind doch bloß Rädchen im Getriebe des bürokratischen Systems. Wo der Film „Casablanca“ mit einer ähnlichen Themengrundlage voll auf romantisierende Gefühle setzte, konzentriert sich Koohestani auf die Analyse der systemischen Umstände.
Birgit Schmalmack vom 10.12.21



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