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Fürchtet euch vor denen, die glauben normal zu sein
Gastgeber Thomas Ebermann annonciert die Autorin, die er im Mai in die Vers- und Kaderschmiede eingeladen hat: Adriana Altaras zeichne sich durch Witz, der aber nicht die Trivialitäten der Spaßgesellschaften bediene, und durch eine Schamlosigkeit aus, der keine kritische Aufdeckung peinlich sei. Nein, die kroatisch-jüdisch-deutsche Autorin wird gekonnt durch die Neurosen ihrer Familie surfen und dabei nicht erst in einem Wochenendseminar erkennen, dass sie als Kind von Überlebenden eine Prägung erfahren hat, die diese Neurosen zu ihren eigenen haben werden lassen. Doch sie verfällt nicht wie ihr jüdischer Freund Rafi in anklagende und beleidigte Depressionen, die im Wunsch nach Auswandern ins heilige Land münden, sondern nimmt beherzt, wortgewaltig und selbstironisch den lustvollen Widerstreit ihrer zahlreichen Identitäten auf. Sie beschreibt den ganz normalen Wahnsinn des deutsch-jüdischen Lebens. Als jüdisches Massaker tituliert sie die Beschneidung ihres Sohnes, zu der sie nur Christen mit starken Nerven einlädt. Ein Rabbi aus der Alditüte vollzieht die Beerdigung ihres Vaters. Ständig umschwirren sie die Geister der Lebenden und Toten, die sie unterhalten, wenn sie nicht schlafen kann, oder war es eher umgekehrt? Die Gute-Nacht-Gebete mit ihrer schönen Tante Jelka schlossen eine Unterweisung in die dringend zu beachtenden Unterschiede zwischen Juden und Christen mit ein. Adrianas Erfahrungen mit Israel sind gemischter Natur, ständige Vorwürfe von den Verwandten, dass man im Land der Täter lebe, und die geforderten Hymnen auf das gelobte Land trüben die unbeschwerte Urlaubsfreude. Ein dreimonatiger Erfahrungsworkshop im Hühnerstall eines überalterten Kibbuz treibt ihr schließlich jede verbliebene Romantik aus. Altaras scheut vor keiner Frage zurück. Wurden ihre deutschen christlichen Nachbarn durch die Rollen ihrer Eltern vielleicht ebenso geprägt wie sie durch die ihren? Warum traktierten die Deutschen die Überlebenden mit zahllosen Einreiseformularen statt ihnen eine Prämie für ihren Mut zu zahlen, wieder im Land der Täter zu wohnen? Doch auch ihre jüdischen Mitbürger schont sie nicht. Anlässlich der „Bar jeder Mizwa“ ihres Sohnes fragt sie sich zum wiederholten Male: Was habe ich mit dieser Religion zu tun, die eine chauvinistische Gesetzesfabrik ohne jeden Humor ist? Altaras ist eine ausgebildete Schauspielerin. So stand ihr Bühnentalent in ihrer szenischen Lesung dem ihrer Mitstreiter Peter Wöhler und Nina Petri in nichts nach und es wurde ein anregender und überaus witziger Abend im ausverkauften Polittbüro. Birgit Schmalmack vom 22.5.12
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Polittbüro Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
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