Eine Sunde Ruhe, St. Pauli Theater

Eins Stunde Ruhe Foto: Oliver Fantitsch



Brüchige Basis

Michel braucht so wenig zum glücklich sein: Eine Jazz-Platte, die er schon lange gesucht hat, und eine Stunde Ruhe um sie anzuhören. Doch gerade an dem Tag, als er sie freudestrahlend mit nach Hause bringt, wollen alle etwas von ihm. Seine Frau will genau heute eine alle Lügen aufdeckende Aussprache, seine Geliebte, die zudem die beste Freundin seiner Frau ist, plagt ihr schlechtes Gewissen und will die Affäre beichten und der Handwerker, der eigentlich nur das Kinderzimmer in ein Arbeitszimmer umwandeln soll, setzt die Wohnung unter Wasser. Michel wollte nur eine Stunde Ruhe und steht am Ende des Tages vor den Trümmern seines Lebens.
Auf welch wackeligen Füßen die gutbürgerliche Pariser Familie steht, zeigt Florian Zeller in seine Komödie "Eine Stunde Ruhe". Innerhalb eines Tages ist Michels komplette Basis weg gebrochen: Seine Sohn ist nicht mehr sein Sohn, seine Frau hat die Koffer gepackt, seine Geliebte ist weg, mit seinem besten Freund hat er sich geprügelt. In diesem Stück, das einer Screwballcomedy nachempfunden ist, jagt ein Gag den nächsten, nie steht die Tür still, keinen Moment ist jemand allein.
Herbert Knaup ist die Idealbesetzung für diesen Michel, der so gerne alle Probleme mit einem nonchalanten Lächeln, einem Griff ins Portemonnaie oder bei Bedarf auch mit einer Showeinlage in Sachen Emotionen lösen würde. Wenn da nicht all diese hoch komplizierten Mitmenschen wären, die von ihm Betroffenheit, Wut, Eifersucht, Liebe, also echte Gefühle erwarten würden. Doch Reden und Zuhören sind ihm eigentlich suspekt. Er beherrscht sie zwar als Techniken, hält sie aber für völlig überschätzt. Knaup spielt diesen schlichten Macho-Egoisten mit schelmischen Augenzwinkern und großer Glaubwürdigkeit. Stephan Schad gibt dem durch den Wasserrohrbruch auf den Plan gerufenen Untermieter eine interessante Mischung aus Jovialität, Aufdringlichkeit und Unterwürfigkeit. Durch seinen starken polnischen Akzent bei gleichzeitiger exzellenter Ausdrucksweise entwirft er auch mit wenigen Sätzen eine eigene Geschichte. Auch Martin Wolf zeigt den Sohn Sebastian als spannenden Charakter aus spät pubertierendem Rebell und Möchtegernkünstler, der sich eigentlich nur nach der Liebe seines Vaters sehnt. Doch nicht alle Charaktere werden psychologisch so gut herausarbeitet. Die beiden Frauenfiguren bleiben dagegen nahe am Klischee. Sie beanspruchen echte Beziehungen, wahre Kommunikation und interessante Affären, doch ohne dafür die Konsequenzen tragen zu wollen. Über das Blondchen in High Heels kommen sie nicht hinaus.
Regisseur Ulrich Waller holt alles an Spaß aus dieser Komödie heraus, was geht. Das zum Schluss auch noch das Designerregal zusammenkracht, hätte wirklich nicht Not getan, um die Botschaft der Geschichte zu verstehen. Doch in seinem Spaß an der Übertreibung bleibt dieser Abend eben konsequent, bis der Vorhand fällt. Dem jubelnden Publikum gefiels.

Birgit Schmalmack vom 22.2.16