Der Krieg im Körper

#ukrwarbody Lichthof


Einfach im Bett liegen bleiben. In Aktionismus ausbrechen. Essen in sich hineinschaufeln, um die Leere zu füllen. Das Essen verweigern, weil alles so sinnlos scheint. In Schockstarre fallen. Dauernd zur Toilette rennen. Auf jeden Sirenenton mit Panik reagieren. Mit gespielter Gleichgültigkeit jeden Alarm ignorieren. Die Decke über den Kopf ziehen. Sich hängen lassen. Die Einsamkeit suchen. Sich in die Gemeinschaft flüchten. Allen Reaktionen im Körper nachspüren. Oder sich in Gefühllosigkeit trainieren.

Die Körperzustände, in die Menschen der plötzliche Ausbruch eines Kriegs im eigenen Land wirft, sind vielfältig. In #ukrwarbody geht die experimentelle Theatergruppe ROFL MONKEY LALALA unter der Regie von Polina Buliuk diesen emotionalen Ausnahmesituationen in ihrer Szenencollage nach. Zuerst mit animierten Tagebucheinträgen von Ukrainerinnen, die seit der Invasion auf der Krim mit diesen Erfahrungen konfrontiert sind. Mit wenigen Strichen findet Olexnder Bulink passende Bilder für diese sehr persönlichen Beschreibungen. Im zweiten Teil greifen die vier Performerinnen zusammen mit dem Bassisten diese Körpererfahrungen gekonnt auf. In ihrer besonderen Mischung aus Physical Theatre, Clownerie, Musik, Tanz und Performance machen sie den Irrsinn des Krieges nachfühlbar. Dabei spielt ihr Stilelement, das der Affenmaske, eine wichtige Rolle. Nie wird der Mensch so sehr auf seine tierischen Instinkte zurückgeworfen wie in Zeiten der Gewalt, der Unterdrückung, der Todesgefahr. Wenn die vier Frauen sich ihre Masken aufsetzen, werden sie zu einer Masse, gealtert, gesichtslos und gefühllos. doch wenn sie sie wieder abstreifen, kommen die Menschen darunter mit all ihren, Wünschen, Sehnsüchten Ängsten und Panikattacken zum Vorschein.

Auf der leeren Bühne türmt sich ein Kissenhaufen in die Höhe. Im Laufe des Abends werden seine Einzelbestandteile zu Proviantbeuteln, zu Gepäckstücken, zu Sandsäcken oder zu Rückzugsorten. So erschafft das Kollektiv im Lichthof eine beeindruckende Bildervielfalt, die die Wahnwitzigkeit eines Krieges in Europa ganz dicht an die Zuschauer:innen in Hamburg heranrückt. Diese Arbeit hätte bis auf den letzten Platz gefüllte Reihen verdient gehabt.

Birgit Schmalmack vom 15.10.22