Zur Kritik von

Dlf 
tanz.at 
taz 
BZ 


Schönheit und Irritation


Eindringlich wird vor der Lautstärke im ersten Teil gewarnt. Denn wo bei Sasha Waltz Beethoven drauf steht, sind erst einmal ganz andere Klänge zu hören. An seinem Musikpult am Rande der Bühne steht der Komponist Diego Noguera und erzeugt in "Freiheit /Ekstase" mit seinen elektronischen, sich stetig steigernden Beats einen flirrenden, mäandernden, flächigen und dröhnenden Klangteppich. Zu ihm staksen merkwürdige Gestalten herein. In hellblauen transparenten Kleidern und Hosen tragen sie eine Kopfbedeckung, die mal an Aliens, mal an Pferde oder Insekten denken lässt. Auf unsicheren Beinen stehend ertasten sie sich mühsam die Welt. Erst im Laufe ihrer Erkundungen legen sie die Masken ab und werden immer menschenähnlicher. Doch sie bleiben Getriebene. Oft scheint sie ein Sturm über die Bühne zu wirbeln, dann werden sie zusammen gedrängt, um gleich danach wieder auseinander zu stieben. Kontaktaufnahmen scheinen eher durch die äußeren Umstände als durch den eigenen Wunsch dazu angeregt zu werden. Wer sich auf die vereinnahmende Musik einlassen kann, erlebt eine faszinierende Reise in eine fremde Bewegungswelt, die von stetiger Unvorhersehbarkeit geprägt ist und in jedem Moment eine Überraschung birgt. Der dichte Nebel auf der Bühne mit der dezidierten Lichtregie verstärkt den Effekt eines (Alb)-Traums. Absolut alle der 13 Tänzer:innnen sind dabei Einzelpersönlichkeiten mit ganz eigener Ausdruckskraft. Das Zusammenspiel der Solowesen ist dabei von Waltz so klug arrangiert, dass es wie aus einem Guss erscheint.
Nach der Pause ändert sich die Stimmung komplett und wird licht und leicht. Denn nun erklingt nicht nur die siebte Sinfonie von Beethoven, sondern auch die nebelige Düsternis hat ein Ende und das Ensemble kommt in heller, fließender Kleidung herein. Zu Beethovens harmonischer Musik drücken die Tänzer:innen nun Aufbruch, Freude, Freiheit und Gemeinschaft aus. Die Choreographie antwortet in jeder Bewegung auf die Musik. Sprünge, Drehungen, Sprungdrehungen, Gruppenensembles wechseln mit Paarbegegnungen. Nach einem Black kommen die Tänzer:innen in einem hautfarbenen Oberteil und langem schwarzen Glockenrock bzw. Hose herein. Fast zeremoniell wirkt dieses Outfit. Entsprechend entwickelt sich der Tanz auf der Bühne. Die Konstellationen wechseln immer wieder, dennoch erscheinen sie nun wie aus einem einstudierten gesellschaftlichen Ritual.
Die Musik Beethovens wird in Sasha Waltz' Arbeit "Beethoven 7" ebenso erlebbar wie die von Noguera. Dass Waltz mit ihrem Team dafür jeweils ganz andere Ausdrucksformen findet, zeigt deren große Wandlungsfähigkeit. So versöhnte der zweite Teil viele im Publikum der voll besetzten K6, die nach dem Krach des ersten etwas ratlos aus dem Saal kamen. Dennoch kann man auch nicht umhin zu sagen, dass der zweite Teil wesentlich erwartbarer verlief, während der erste Teil voller überraschender Faszinationen steckte, die sich aus dem Nebel allmählich herauslösten. So war für jeden etwas dabei: Für diejenigen, die sich irritierend Neues erhofften, wie für diejenigen, die sich von Beethovens schönen Freiheits-Klängen entführen lassen wollten.
Birgit Schmalmack vom 26.4.24




Beethoven 7, Kampnagel Foto: Sebastian Bolesch


Druckbare Version


Herakles nach Euripides, Kampnagel
Ivo Dimchev, Kampnagel