Full of ashes, full of tears


Die Welt, wie sie bisher bestand, ist ein Trümmerfeld. Ein riesiges düsteres Aschefeld mit verkohlten Resten von Kadavern. Dazwischen ein paar herumvagabundierende Frauen, die versuchen sich zu orientieren. Ihr Schicksal scheint besiegelt. Ihre Männer sind auf dem Schlachtfeld gefallen und sie nun den Siegern ausgeliefert. Doch diese Frauen versuchen ihren Kopf zu erheben. In all ihrem Schmerz, ihrem Wehklagen versuchen sie ihre Lage zu klären. Der Abend "Everything burns" der italienischen Truppe Motus gibt der Trauer viel bildmächtigen Raum. In der dunklen, nur von portablen Leuchtstoffröhren erleuchteten Düsternis kommen die Frauen Trojas zu Wort. Hekabe, ihre Töchter Kassandra, Andromache und Polyxena irren über die Szenerie, in der sie nichts als Zerstörung vorfinden. Sie, die eigentlich zur Passivität verurteilt sind, versuchen sich in ihrer selbst vergewissernden Beschreibung des Ist-Zustands ein Bild von ihrer Zukunft zu machen.
Doch mehr als der Analyse ist dieser Abend den Emotionen gewidmet. Bilder tauchen auf. Nicht nur von den Toten, die an der Mittelmeerküste Italiens angespült werden, sondern auch von dem Krieg, der zurzeit mitten in Europa stattfindet, wo Raketen eine Landschaft der Verwüstung hinterlassen. Und von der drohenden Umweltzerstörung, die die Menschen gemachte Klimakatastrophe herbeiführen wird. Doch auch ein Rückblick in die Corona-Zeit, in der die Toten Italiens nicht betrauert werden konnten, kommt wieder hoch. Für all dies finden die beiden Darstellerinnen, die in jeder Hinsicht beeindruckende Ausnahme- Schauspielerin Silvia Calderoni und die feinnervige Tänzerin Stefania Tansini, wunderbar eindrückliche intensive Bilder der Angst, der Verzweiflung, der Trauer, der Wehmut und des Schmerzes aber auch des Aufbegehrens. Die Musik von Francesca Morello (R.Y.F.), die vereinnahmende Melodien zu eingängigen Texten als Soundtrack live auf der Bühne performt, ist dazu so bezwingend, dass die Zuschauer:innen förmlich in das Alptraumszenario auf der Bühne hineingesogen werden. Die beiden Regisseur:innen Daniela Nicolò and Enrico Casagrande formen aus den Originalpassagen von Euripides angereichert mit Texten von Jean Paul Sartre, Judith Butler, Ernesto de Martino oder Donna Haraway einen zeitlosen Abend, der jenseits von intellektuellem Verstehen gefangen nimmt.
Birgit Schmalmack vom 5.12.22