An allen Fronten, Gilla Cremer



Wo beginnt die Unschuld eines Liedes und wo endet sie?


Und wo endet die Unschuld der Sängerin dieses Liedes? Dieser Frage widmet sich der Liederabend „An allen Fronten: Lili Marleen & Lale Andersen“.
Als Lieselotte Brunnenberg wird Lale in Bremerhaven geboren. Früh heiratet sie, früh bekommt sie drei Kinder, früh bricht sie aus der Ehe aus. Sie will mehr sein als Hausfrau und Mutter. Sie will auf die Bühne und nimmt mit 24 Jahren den Zug nach Berlin. Dort verdient sie als Sängerin auf Kleinkunstbühnen ihr Geld. Besonders der maritime Touch der Bremerhavener Deern hat es den Zuschauern angetan. Die Verhältnisse in Deutschland lassen sie ein Gastspiel in Zürich zum Weggang aus dem immer brauner werdenden Deutschland nehmen. Die große Liebe hält sie dort lange fest: zum „Nicht-Arier“ Rolf Liebermann. Als sie für Auftritte wieder nach Deutschland reist, verwehrt man ihr die Wiedereinreise. Erst acht Jahre später sieht sie Liebermann wieder. Doch die große Liebe ist an den Umständen zerbrochen.
Zum Schluss steht Lale ein letztes Mal unter der Laterne und singt ihr Lied: Mit Tränen in der Stimme singt sie von der verflossenen Liebe der Soldatenbraut und von ihrer eigenen.
Mit diesem Lied ist sie zum Soldatenidol geworden. Mit diesem Lied hat sie über den Sender Radio Belgrad auf allen Schlachtfeldern der Welt kurzfristig die Waffen zum Schweigen gebracht. Tourneen durch die Armeestandorte während des Krieges hielten die Soldaten bei Laune.
Als sie gefragt wird: Haben Sie den Mut, ihre Stellung dazu zu nutzen, Auskünfte über den Zustand der Ghettos zu geben, ist Lale unsicher. Sie muss ihre Kinder versorgen, sie will wieder zu Liebermann reisen können. Dies nun gefährden? Doch sie macht beides: Sie verfasst die Berichte und schreibt gleichzeitig huldigende Briefe an den Präsidenten der Reichskulturkammer. Eine unpolitische Frau und Künstlerin zwischen die Fronten der gesellschaftlichen Entwicklungen und wird wider Willen zu einer politischen Figur.
Wenn Gilla Cremer diese Lale unter der Regie von Brigitte Landes spielt, wird sie zu einer selbstbewusst starken, innig liebenden, überaus sympathischen Person. Diese Frau wird auf wohltuend unspektakuläre Art zum Spiegelbild der deutschen Gesellschaft während der Nazizeit und hat auch zum dreißigjährigen Bühnenjubiläum von Cremer nichts an seiner Dringlichkeit verloren.
Birgit Schmalmack vom 11.09.18




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Die Dinge meiner Eltern
Freundschaft, Kammerspiele