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Meeresrand |
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Immer am Rand stehen
"Einmal wie das Meer sein, soviel Platz beanspruchen dürfen," das wünscht sich die Mutter der zwei kleinen Kinder Stan und Kevin im Roman von Véronique Olmis "Meeresrand". Sie, die Sozialhilfeempfängerin, die von Phobien und Depressionen nieder gedrückte Frau, die an der Armutsgrenze lebende und völlig überforderte, alleinerziehende Mutter gönnt sich und ihren Kindern eine Reise ans Meer. "Das Meer kann keine Enttäuschung", hofft sie. Doch statt Sonne gibt es Regen. Der Strand wird zu Schlamm und das Meer ist grau statt blau. Das Hotelzimmer ist eine braune, enge Schachtel und hat keine Ähnlichkeit mit den Hotels, die im Fernsehen gezeigt werden. Das lange gesparte Wechselgeld soll den Jungen einen Augenblick der Freude beim ersten Café-Besuch und bei Pommes auf dem Rummelplatz bescheren. Weiteres Sparen ist nicht mehr notwendig; die Mutter hat beschlossen ihre Kinder vor der Ausgrenzung, der Scham und die Feindseligkeit der Welt, die sie ihr Leben lang erdulden musste, zu bewahren. Am Abend im Hotelzimmer erstickt sie ihre Kinder im Schlaf mit dem Kissen.
Gilla Cremer zeigt diese Frau in all ihrer aussichtslosen Liebe. Sie lässt die Romanfigur in der Inszenierung von Michael Heicks - eine Ko-Produktion des TheaterBielefeld mit dem Thalia-Theater - lebendig werden. In einem braunen, abgewetzten, kniekurzen Cordmantel, dessen Taille von einem Gürtel fest eingeschnürt wird, steht sie bei ihrem Monolog fast starr vor der blauen Rückwand. Sie rührt sich kaum von der Stelle. Ihre Arme bleiben verkrampft an den Körper gedrückt, nur ihre Hände winkelt sie beim Sprechen verlegen und hilflos ab. Ihr Körper, ihr Gesicht und ihre Stimme ziehen so in ihren Bann, dass die Beschreibung dieses einen Tages zu einer kompletten, intensiv berührenden Lebensgeschichte wird. Sie öffnet die Augen für das alltägliche, aus Scham verborgene Leiden. Der Cellist Patrick Cybinski unterstützt dieses beeindruckende Theater im Kopf. Er schafft es auf seinem Instrument den Gefühlen dieser Frau Ausdruck zu verleihen, Kommendes anzukündigen, Geschehenes zu kommentieren und die Geräusche des Meeres nachzuahmen.
Die kleine Momente, in denen sich die Frau für ihre Kinder aus der deprimierenden Ausweglosigkeit mit einem gewollt spaßigen Spruch, mit einer gespielten Stärke oder einem inszenierten Einfall herauszieht, berühren besonders. Alle ihre Energie vergibt diese Frau an ihre Kinder. Nach deren Tod steht Gilla Cremer wie eine leere, kraftlose Hülle am Bühnenrand.
Birgit Schmalmack vom 11.01.04
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