Another one bites the dust

Dieser Songtext bekommt in Lea Ralfs Stück Innuendo eine ganz existenzielle Bedeutung: In den Achtzigern gab es eine Phase, in der gerade in der Schwulenszene eine Krankheit viele Freunde und Bekannte dahinraffte. Ihre HIV- Infektion bedeutete das Todesurteil. Es traf auch Hans und Freddie. Doch obwohl beide einen Schnauzer trugen und zum Ende hin offen schwul lebten, hatten sie ansonsten wenig Ähnlichkeiten. Doch der kleinen zweijährigen Enkelin Lea erschienen die beiden stets zum Verwechseln ähnlich. Wenn ihre Mutter mit ihr über Freddie Mercury sprach, dachte Lea immer, dass sie ihren Opa meinte. So verschmelzen beide Männer in ihrem Kopf zu einer Person. Ihnen will sie jetzt in ihrer ganz persönlichen Spurensuche Innuendo mit Hilfe von den Briefen, Fotos und Tagebücher ihres Großvaters und der Songs von Mercury endlich nahe kommen. Doch, um es gleich vorweg zu nehmen, es wird ihr bis zum Schluss nicht gelingen. Zwar versucht sie ihre Persönlichkeiten in den fahrbaren Glaskästen mit den Neonröhren, die dazu an- und ausgeschaltet werden können, auszuleuchten, doch letztendlich bleiben zu viele Fragezeichen übrig. So erscheinen Hans und Freddie in den beiden Glasvitrinen wie Ausstellungsstücke vor dem direkten Kontakt abgeschirmt. Oder liegt es daran, dass die Enkelin allzu gerne einen großen Helden zum Opa gehabt hätte und doch entdecken muss, dass er im zweiten Weltkrieg ein treuer Soldat, unter den Nationalsozialisten ein begeisterter Nazi und nach dem Krieg ein kleinbürgerlicher Metzger geblieben ist, auch wenn er sich neben seiner Ehe Ausflüge in die Schwulenszene Hamburgs erlaubte und nur dort seinen Begierden offen nachging. "Reicht das nicht für diese Zeit aus, in der das Schwulsein noch verpönt war?" fragt der Opa Lea im Laufe eines erdachten Zwiegespräches. Doch Lea wünscht sich heimlich immer noch einen Mann als Opa, den sie sich in eine Glasvitrine stellen und bewundern kann. So wie viele das mit Freddie Mercury taten.
Es ist eine berührende Spurensuche mit dem Mut zu vielen Leerstellen geworden. Wenn die drei Darsteller:innen zusammen mit den zwei Musikern (Michael Gumpinger und Oliver Mirwald) die Lieder des letzten Albums von Mercury mit in ihre Show einfließen lassen, bekommen diese eine ganz neue Bedeutung. Nicht abgelenkt von großer orchestraler Begleitung hört man auf den Text und versteht, dass Mercury in ihm viele eigentlich sehr direkte Botschaften über sein Schwulsein, die Bedrohung durch die Infektion und die Angst vor dem vorzeitigen Tod ausgedrückt hat, die oft bisher unter dem opernhaften Arrangement verborgen blieben.
So haben Regisseurin Lea Ralfs und Autor Jan Geiger einen anrührenden Abend über gesellschaftliche Normen, Ideale, Wendungen, Freundschaften und den Tod erschaffen, der besonders an dem Hamburger Aufführungsort im Rahmen des HauptsacheFreiFestivals in einer Kirche noch einmal zusätzliche Brisanz erhielt. Absolut sehenswert, weil Mara Widman als Lea wunderbar naiv und souverän zugleich in der Rolle der Enkelin agierte, die beiden Schauspieler des Hans (Max Wagner ) und Freddie (Olaf Becker) in allen Rollen-Aspekten glänzten und nicht zuletzt alle drei mit ihren ganz neuen Interpretationen der Songs überzeugten und tiefere Schichten des Themenspektrums freilegten.
Birgit Schmalmack vom 5.5.23




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Vom einsamen Sterben, Freie Akademie der Künste
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