German Angst

Der Wald, Lichthof Stückliesl

Der Wald steht für so vieles: Rückzugsort, Idyll, Einsamkeit, Naturverbundenheit, Geborgenheit. Aber auch Heimat, Tradition, Abschottung, Rückständigkeit, Jagen, Waffen, Männlichkeit.

In „Der Wald„ trifft dieser Assoziationsraum auf die „German Angst„. In diesem Wald lebt eine Frau (Lisa Florentine Schmalz), die sich mit den Kräften der Natur einen neuen Lebensort, der ihr ganz einspricht, erschaffen hat. Nicht weit von ihr haust eine WG von rechtslastigen Preppern (Ferdinand Keller, Friedo Herken), die insgeheim eine neue Ordnung vorbereiten. Die Waffen dafür lagern schon in den Schränken. Ihre betriebene Jagd ist die perfekte Tarnung.

Nach der romantischen Oper „Der Wald„ von Ethel Smyth hat Kerstin Steeb zusammen mit ihrem multiprofessionellen Team einen großartigen Opernfilm gedreht, der dank der neuerlichen Öffnung nicht am heimischen Bildschirm sondern Open Air auf dem Hof unter dem Lichthof genossen werden konnte. Dort sitzt man auf einem mit Rasen ausgelegten Parkdeck und darf eintauchen in die Bilder und Konstellationen, die die Regisseurin für die Opernfiguren angelegt hat. Dass sie eigentlich in einer anderen Zeit (Die Uraufführung fand 1902 statt) verortet sind, merkt man an ihren Namen und Liedtexten. Doch Steeb schafft es zu Menschen von heute werden zu lassen. Die Hexe aus dem Wald ist eine überaus emanzipierte umweltbewusste Feministin, die sich ihre Sexpartner selbst aussucht. Die Braut (Isabel Reinhard) in der Prepper-WG dagegen ist die treusorgende Hausfrau, die zu Tätowierungen und Nasenpiercing stets adrette Blüschen trägt und rollengerecht den Cocktail serviert. Stilvoll geht es unter den neuen Rechten zu, während man im Netz nach neuer Waffen und passender Munition. Die Überwachungskameras sind auf jeden Winkel des Grundstücks ausgerichtet. Die Aktualisierung gelingt nicht zuletzt wegen des großartigen Ensembles hervorragend. Die Darsteller*innen sind nicht nur sängerisch sondern schauspielerisch dieser äußerst anspruchsvollen Aufgabe bestens gewachsen. Angereichert wird die Komposition von Smith durch die elektronischen Arrangements von Felix Stachelhaus. Doch die echte Dramatik kommt durch eine andere Zutat zustande: Die Geschehnisse werden unterlegt von realen Chats aus Bürgerwehr-Kreisen, die völlig surreal und dadurch umso bedrohlicher wirken. Dazu sieht man Filmbilder von wohlgeordneten Einfamilienhaussiedlungen aus der Vogelperspektive mit sauber gemähten Rasen und sorgfältig gestutzten Hecken. Doch unter dieser Saubermann-Oberfläche der Normalität lauert schon der Umsturz.

So gewinnt Steeb der Oper ganz neue Dimensionen ab, die sie plötzlich und unerwartet sehr aktuell und hochpolitisch werden lässt. Mit einem Werk um Jagdherren, Knechte, Bräute und eine Hexe gelingt ihr das Kunststück, den erstarkenden rechten Rand Deutschlands zu beleuchten. Und ein bisschen ergreift sie einen beim Zuschauen dann auch: die deutsche Angst, bzw. die Angst vor den Deutschen.
Birgit Schmalmack vom 20.6.21