Das Paradies ist eine Hölle

Licht und Liebe Foto: Simen Ulvestad



Den Thrill, den sonst nur das Kino zu erzeugen vermag, auf eine Theaterbühne zu holen, das ist das Ziel der norwegischen Gruppe „Susie Wang“, die dieses Jahr auf Kampnagel zu Gast ist. Scheinbar ganz harmlose und als sicher geglaubte Konstellationen zeigen bei ihnen ihr wahres Gesicht und werden zu Horrorszenarien. Die Deutschen Barni und Sabine wähnen sich eigentlich im Paradies. Ihr Ferienapartment liegt direkt am Strand. Doch schon die erste Szene verrät, dass hier nicht alles so paradiesisch ist, wie es scheint. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt fließt Blut. Barni ist auf etwas Scharfes getreten und Sabines Rücken ist feuerrot. Wie Alfred Hitchcock spielt das Theaterkollektiv geschickt mit der Vorahnung des baldigen Unheils. Das Stück Grillfleisch wird plötzlich lebendig und wehrt sich gegen seine Verzehrung. Als der Ehemann zur Gegenwehr ansetzt, steigt sich der Blutverlust mit tödlichen Folgen.
Das Paradies, in das die Touristen aus ihrem düsteren sonnenarmen Alltag so gerne entfliehen wollen, entpuppt sich als Hölle. Im den irrigen Wunsch der Natur näher zu kommen, lernen sie schmerzhaft deren eigene Regeln kennen. Sie sind alles andere als friedlich. Der Mann wird von den Pflanzen verschlungen, schlägt buchstäblich Wurzeln und zwischen seinen Beinen erblüht Großes. Seine strikt vegetarische Frau wird zur Kannibalin. Die Natur, von der sich der Mensch entfremdet hat, erweist sich als sein überaus effektiver Lehrmeister. Humanistische Ideale sind hier fehl am Platz, wenn man das vermeintliche Paradies lebend verlassen will. Das subtile Horrortheater wird zur Splatter-Parabel über den touristischen Wunsch mal eben in die paradiesische Schönheit einer idealisierten Natur einzutauchen, die jedoch nur in einer Disney-Welt aber nicht in der Realität existiert.
Handwerklich gut gemacht, mit drei versierten Schauspieler:innen besetzt, mit atmosphärisch untermalendem Soundtrack a la Hollywood und allerlei Bühneneffekten erfüllten die Norwegen die Erwartungen, die sie bei den Hamburgern schon mit ihrer Gastspiel auf dem Sommerfestival „Mommy Brown“ 2019 geweckt hatten. Dass es manchen Zuschauerinnen dabei gruselte oder den Magen umdrehte, war durchaus beabsichtigt.
Birgit Schmalmack vom 10.8.21