Die Freiheit des Aufgebens
"Sie wissen was Sie zu tun haben, wenn Sie hier aus dem Theater rausgehen: Nichts!" Die Frau, die hier zum Publikum spricht, ist die Erste einer Massenbewegung, die allerdings keine Führerschaft sondern nur Nachahmerschaft kennt. Denn ihr einziges Credo ist: "Do nothing, die young end the world." Die absolute Verweigerung markiert den Anfang vom Ende der Menschheit. Was als Hoffnungslosigkeit und Ziellosigkeit in der Pandemie begann, führte zu einer Verbundenheit mit dem Elend, das aller Verpflichtungen enthebt, sogar der zum Zufriedensein. Von außen betrachtet ein Zustand der totalen Verwahrlosung ermöglichte diese Gnade dieses Aufgebens der Frau eine Freiheit des Nichts. Ein Schwebezustand zwischen tot und lebendig, der jedoch unweigerlich zum Lebensende führt. Nichts mehr verlieren zu können, das ist wohl die ultimative Freiheit.
Was zunächst wie die Aussage einer verwirrten einsamen Frau während der Pandemie wirkt, die ab dem ersten Lockdown in einen Zustand der krankhaften Selbstisolation verfällt, wird im Laufe des seltsamen Theaterabends im Malersaal in eine Zustandsbeschreibung einer ganzen Gesellschaft überhöht. Für ihn sitzen sich zwei Schauspieler:innen an einem Tisch mit zwei Mikrophonen gegenüber und interviewen sich, machen Spielchen mit den Zuschauer:innen und rufen diese zum Schluss auf mit den Worten der Autorin Julia Mounsey auf, Teil dieser Verweigerungsbewegung zu werden.
Dass dieser Performanceabend des New Yorker Künstlerduos Peter Mills Weiss & Julia Mounsey zu einer Zeit Premiere hatte, in der auf europäischem Boden ein Krieg tobt, wirkt dabei allerdings anachronistisch. In so einer Phase nichts tun? Schweigen? Nicht auf die Straße gehen? Oder wäre es angesichts der verspürten Ohnmacht gegenüber der Unvernunft, die darin zum Ausdruck kommt, die eigentlich logische Konsequenz? Hat der Mensch angesichts dieser Versagen jeder Zivilisationserrungenschaften nicht eigentlich damit seine Daseinsberechtigung verloren? Und sollte die Erde lieber der Natur überlassen?
Und dennoch, als Julia Wieninger und Lars Rudolph nach dem Ende des Stückes noch die Erklärung der Intendantin des zerstörten Theaters in Mariupol zum Welttag des Theaters verlesen, kann man auf Weiningers Aufforderung "Sie wissen was Sie jetzt zu tun haben, wenn Sie das Theater verlassen?", nur eindeutig "Nein!" ausrufen.
Birgit Schmalmack vom 28.3.22