Keine Chance hat dieses Land



Ora (Ute Hannig) setzt sich in Bewegung. Sie will nicht abwarten, bis jemand ihr die unerwünschte Nachricht überbringt. Sie will sich unerreichbar machen für die Überbringer der Nachricht, dass ihr Sohn Ofer (Paul Herwig ) im Kriegseinsatz gefallen ist. Dafür bricht sie zu einer Wanderung durch Galiläa auf. Doch nicht alleine, sondern mit ihrem früheren Geliebten und Vater von Ofer. Doch Avram (Markus John) ist ein Wrack, als sie ihn nach zwanzig Jahren in seiner Wohnung aufsucht. Er hat sich nie erholt von seiner ägyptischen Gefangenschaft nach dem Sechstagekrieg, in der er gefoltert wurde. Doch Ora lässt nicht locker, denn sie braucht Avram. Dadurch das sie ihm von ihrem gemeinsamen Sohn erzählt, will sie Ofer am Leben erhalten. Auch ihr Ehemann Ilan (Paul Herwig ) spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Hat Avram einst die beiden zusammen gebracht und hat Ora nur durch ein Los entschieden, wer damals in den Einsatz im Sechstagekrieg ziehen musste: Ilan oder Avram. Jeder und jede wird hier auf die oder andere Art schuldig.
Das 700 Seiten starke Roman von David Grossmann, in den er auch den Tod seines eigenen Sohn im Libanonkrieg verarbeitet, lässt in Oras Geschichte die Geschichte Israels in all seiner unerklärlichen Verstrickung nachfühlbar werden. Der Regisseur Dušan David Pařízek schafft das Wunder diese auf der Bühne des Malersaals lebendig werden zu lassen. Er verlässt sich ganz auf seine Darsteller:innen. Er folgt den handelnden Personen in einer konzentrierten Klarheit. Er bringt sie an ihre jeweiligen Schmerzpunkte, die nichts auslassen. Eindeutigkeit gibt es dabei keine, jede Wahrheit wird mit einer Gegenwahrheit konfrontiert. Fast ohne Requisiten, nur mit drei Overheadprojektoren und einem klackernden Metronom erschafft er in dem Betonkeller des Malersaals zusammen mit den drei hervorragenden Schauspieler.innen eine Atmosphäre, die ganz eintauchen lässt in den unlösbaren Konflikt dieses Landes.
Ora will eigentlich nur ein ganz normales Leben, doch das bleibt ihr verwehrt. Denn ihr Land ist kein normales Land. Es hat keine Chance, stellt sie am Ende ernüchtert fest. Dennoch wird sie bleiben. Damit entlässt dieses Stück seine Zuschauer:innen. In eine chancenlose, aussichtslose Alternativlosigkeit.
Birgit Schmalmack vom 7.2.22




Eine Frau flieht, DSH © Matthias Horn,


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Die Sorglosschlafenden, die Frischaufgeblühten, Sc
Coolhaze, Schauspielhaus