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Anatomie eines Suizids, Schauspielhaus |
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Faszinierendes Theaterexperiment
Drei Türen, drei Zeiten, drei Frauen. Drei Geschichten werden auf der Bühne erzählt - und dass nicht nur parallel sondern gleichzeitig. Wie sich das Leben der drei Frauen gegenseitig beeinflusst, ja geradezu vorherbestimmt, zeigt das Theaterstück "Anatomie eines Suizids" von Alice Birch. Katie Mitchell hat es nicht nur letztes Jahr für das Royal Court Theatre in London sondern jetzt auch für das Hamburger Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Die drei Frauen haben jeweils einen Abschnitt desselben Hauses zur Verfügung. Hier ist ihr Aktionsraum. Der erste spielt ab 1970, der nächste ab 1990 und der letzte ab 2030. Grenzüberschreitungen zur nächsten Zeitebene finden nicht statt. Clara (Julia Wieninger) trägt schwer an ihrem Leben. Einen missglückten Selbstmordversuch hat sie hinter sich, als sie schwanger wird. Für ihre Tochter will sie nun versuchen zu leben und erstmal bleiben. Immer wieder fragt sie ihre Tochter, ob es ihr auch gut gehe. Zu groß ist Claras Angst, sie könnte eine schlechte Mutter sein. In der mittleren Zeitebene sieht man die junge Frau Anna (Gala Othero Winter), schwer von ihrer Drogensucht gezeichnet. Während sie eine Therapie macht, lernt sie einen Mann kennen, zieht mit ihm zusammen und bekommt ebenfalls eine Tochter. Auf der letzten Zeitschiene erleben wir ihre Bonnie (Sandra Gerling). Sie ist Ärztin und tut sich schwer Beziehungen einzugehen. Wie sich alle diese parallelen Erzählungen verschränken, erfordert vom Zuschauer das konzentrierte Zusammenpuzzeln der Informationen, die Stück für Stück gegeben werden. Dass hier Großmutter, Mutter und Tochter nebeneinander von ihrem Schicksal berichten, fügt sich erst spät zusammen. Da alle drei Frauen ihre ganz eigene Version ihrer Geschichte simultan durchspielen, muss der Zuschauer ständig zwischen den Ebenen hin- und herschalten. Jeder wird einen anderen Abend erleben, keiner wird alles mitbekommen. Die Komposition dieses Abends gleicht einem Tanztheaterstück, bei dem die Tänzer auf der Bühne gleichzeitig unterschiedliche Bewegungen machen und der Zuschauer stets seinen Fokus verändern muss und dennoch etliches verpassen wird. So ist es auch hier. Eine mutige und konsequente Art der Lebens-Abbildung wählen Birch und Mitchell. Auch im Alltag wird vieles in der Informationsflut untergehen müssen. Auf der Bühne ist diese Art der Informations-Verdichtung jedoch ungewöhnlich, innovativ, spannend und gewöhnungsbedürftig. Clara wird sich als erste das Leben nehmen. Als sie ihr Versprechen eingelöst hat und Anna zum Schlussabschluss gebracht hat, stürzt sie sich vor den Zug. Auch Anna wird das Leben nicht aushalten. Zu stark begleitete und belastete sie der Tod ihrer Mutter ihr Leben lang. Nach der Geburt ihres Kindes bringt sie sich in der Badewanne um. Wie verarbeitet die jeweils nächste Generation den Freitod der Mutter? Kann die letzte der Reihe, Bonnie, mit dieser doppelten Bürde weiterleben? Kann sie ihr Elternhaus wieder betreten und in dem Haus sein, wo sie geboren wurde und wo ihre Großmutter und ihre Mutter sich umbrachten? Wenn die Enkelin zum Schluss diese Erb-Linie konsequent durchbricht, hebt sich die Kulisse und ein großer weiter Raum mit einem Treppenaufgang nach oben wird sichtbar. Erst danach werden sich die drei Generationen begegnen. Die noch lebende Bonnie wird in einem luftigen weißen Kleid am Rand der Bühne stehen, während ihre Großmutter ohne einen Blick zu heben an ihr vorbeilaufen und ihre Mutter sie sanft bei der Hand nehmen wird. Bis zu diesem ein wenig Hoffnung stiftenden Ende waren die Frauen scheinbar ohnmächtig in ihrem Schicksal gefangen. Sie waren keine, die ihr Leben frei gestalten können. Zu sehr trugen sie an ihrem Erbe. Das macht Mitchell mit ihrer Darstellung der Frauen deutlich. Sie lässt sie zwischen den Szenen bewegungslos wie Schaufensterpuppen dastehen. Sie werden von den anderen Schauspielern neu eingekleidet und mit den nötigen Requisiten für die nächste Szene ausgestattet. Wie gut programmierte Menschenroboter streifen sie zu gezielt dramatisierenden Pausenmusik Kleidungsstücke über, drücken Taschen in die Hand, stellen Schuhe hin, platzieren Stehlampen, Tische und Stühle. Das Timing ist perfekt und die Steuerung der Atmosphäre gekonnt und stimmig. Denn auch die Freunde und Familienmitglieder stehen der Depression der Frauen hilf- und machtlos gegenüber. In der Gleichzeitigkeit der Erzählstränge tritt zeitweise die psychologische Analyse in den Hintergrund; zu sehr ist man mit dem Entschlüsseln der Zusammenhänge beschäftigt. Doch dann, als die Verknüpfungen klar werden, schlägt die Erkenntnis mit voller Wucht durch. Alleine formal ist dieses Theaterexperiment schon faszinierend. Doch auch als Theaterabend ist es geglückt. Denn auch schauspielerisch, darstellerisch und inhaltlich beschert es zwei spannende Stunden im Schauspielhaus. Birgit Schmalmack vom 20.10.19
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Druckbare Version
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Die Nibelungen, DSH Sophie Passmann, DSH
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