Mutter Courage, Thalia
Niemand kann im Krieg gewinnen
Mutter Courage ist ein Stehauf-Frauchen. Sie schafft es, sich im Krieg als allein stehende Frau mit ihren drei unehelichen Kindern als Marketenderin durchzuschlagen. Selbst als sie zum Schluss sie alle ihre Kinder verloren hat, macht sie weiter. Sie zieht mit ihrem Wagen wieder los, um ihre Geschäfte zu machen, egal unter welchen Umständen, egal mit wem an ihrer Seite, egal in welchen Ländern auch immer.
Im Krieg kann letztendlich keiner gewinnen Selbst eine Mutter Courage nicht, die immer dachte, sie verstünde es mit allen Tricks selbst im Krieg für sich und ihre Kinder zu sorgen. Zum Schluss hat sie nur noch ihren Wagen, alle ihre Kinder sind tot. Doch sie kann mit dem Frieden nichts mehr anfangen. Zu lange hat sie sich schon an das Geschäft mit dem Krieg gewöhnt.
Ehre und Moral gelten nichts in Kriegszeiten, das erkennt Mutter Courage schnell, doch selbst im Krieg versucht sie ihre eigenen Wertmassstäbe nicht zu aufzugeben. Wenn sie sich und den Ihren nicht schadet, hilft sie anderen gerne. Sogar den arbeitslos gewordenen Pfaffen (Matthais Leja) der Evangelen nimmt sie bei sich auf, als die Katholschen das Land erobern. Denn Mutter Courage ist im Dreißigjährigen Krieg unterwegs. Bertolt Brecht hat das Stück im schwedischen Exil geschrieben, um vor dem Ausbruch eines Krieges zu warnen. Doch es wurde erst 1941 aufgeführt, als alles schon zu spät war.
Regisseur Philipp Becker hat ihr in seiner Neuinszenierung im Thalia Theater statt des Wagens einen Chor beigegeben. Er symbolisiert die Massen der heimatlos gewordenen Kriegsverlierer, die über die Bühne hetzen. Sie stehen für das Fußvolk, das unter den Kriegsentscheidungen zu leiden hat. Der Chor singt neben der Musik Paul Dessaus auch einige Choräle, die an den religiösen Hintergrund dieses Krieges erinnern und von einer Harmonie träumen lassen, die in weite Ferne gerückt ist.
Die Inszenierung lebt von seiner herausragenden Hauptdarstellerin Gabriela Maria Schmeide, die die Mutter Courage mit einer Herzlichkeit, einem Pragmatismus, einem Lebenswillen und einer Energie verkörpert, die mit ihrem Spiel den ganzen Text zu erklären vermag. Alle anderen Figuren verschwinden hinter ihrer raumgreifenden Persönlichkeit. Beckers Personenführung auf der leeren runden Bühne, die das Orchester auf ein erhöhtes Podest am hinteren Rand stellt, ist meist statisch. Wenn er die Personen zeitweise zudem körperlich agieren lässt, kommt noch mehr Spannung auf. Etwa als die stumme Tochter Katrin (Lisa Hagemeister) ihrer Verzweiflung Ausdruck geben darf. Oder die Mätresse (Victoria Trauttmansdorff) in tänzelndem Stolpern über die Bühne stolziert. Oder wenn Mutter Courage im letzten Bild über mehrere Minuten verzweifelt versucht sich in die Waagerechte zu begeben. Becker verzichtet auch darauf, Brechts Botschaften in eindeutige Bühnenmittel zu übertragen. Auch hier lässt er Mutter Courage und ihre Geschichte für sich selber sprechen. Eine wohltuende schlichte und konzentrierte Aufführung ohne jede Effekthascherei.
Birgit Schmalmack vom 21.2.17
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