Ohne Hoffnung

Die "alte Frau" (Iokaste: Julia Wieninger), wie sie sich nennt, die sich ihre langen Haare aus Gram abgeschnitten hat, hat ihre beiden Söhne an einen Tisch gerufen. Da sitzen sie nun, an den beiden Enden, beide in enges Schwarz gehüllt, der eine mit blutigen Händen und blicken sich lange schweigend an. "Und jetzt muss einer anfangen zu sprechen, obwohl es nichts zu sagen gibt", meint Polyneikes (Maximilian Scheidt). Doch das Gespräch ist schon zu Ende, bevor es begonnen hat. Denn ein Versprechen wurde nicht gehalten. Sollte eigentlich die Macht zwischen den beiden Brüdern gleichmäßig aufgeteilt werden, beharrt nun Polyneikes auf seiner alleinigen. Denn er hat seiner Meinung nach die Stadt Theben zum Strahlen gebracht. Doch Eteokles (Paul Behren) hält dagegen: Die Stadt spiegele sich doch nur noch selbst in all ihren Glasfassaden. Sie sei blind geworden. Die Werte seien ihr abhanden gekommen. Es ginge ihr nur noch um Wachstum und Profit. Doch die Mutter Iokaste ahnt schon da: Auch ihr zweiter Sohn würde seine Macht eher zum eigenen Vorteil nutzen wollen. Immer verzweifelter werden ihre Vermittlungsversuche, die sie in immer neuen Runden einberuft. Bis sie sich völlig entblößt und all ihre Emotionen, Überzeugungen und Geständnisse in einer beeindruckenden Aufwallung von verzweifelter Ehrlichkeit in die Waagschale für eine Zukunft ohne Krieg wirft. Doch vergeblich: Sie wird sich zum Schluss zwischen ihre beiden toten Söhne auf das mit Blut getränkte Schlachtfeld legen.
Doch einer wagt es. Einer steht auf gegen diese Ungerechtigkeit und dieses Morden. Der junge Menoikeus (grandios: Daniel Hoevels), der jüngste Sohn Kreons, will sich selbst opfern, um das Blutvergießen zu beenden. Er steigt auf einen Turm, ringt um Aufmerksamkeit - "Seht ihr mich?" - und schneidet sich die Kehle durch.
Der Krieg ist zu Ende. Ob nun durch den Tod der beiden Anführer, ob nun durch den Blitzschlag, der den ersten der Soldaten traf, der die Thebener Stadtmauer überwand, oder durch den Opfertod des Menoikeus. Keiner weiß es. Nur Ismene (Josefine Israel) ist sich sicher: Durch Götterhand ist dieser Krieg nicht beendet worden. Oder höchstens durch einen "Gott des Zufalls".
Karin Beier hat im vierten Anthropolis-Teil eine so klare Botschaft parat wie sonst selten. "Die Menschen mögen Krieg führen, doch letztlich führt der Krieg die Menschen", so heißt es an einer Stelle. An einer anderen: "Diesen Krieg kann niemand gewinnen, denn wer ihn gewinnt, verliert ihn dennoch." Er zieht sie in seine eigene Logik und mündet in einer Spirale des Blutvergießens. Doch neben dieser klaren Moralbekundung wird ebenso klar: Alle, gerade die Protagonisten, die lautstark ihre Werte vor sich hertragen, sind wenig glaubwürdig, denn ihr Tun spricht eine andere Sprache. Sie sind alle ebenso Täter wie Opfer. Sie haben alle Schuld auf sich geladen, die den Hass erst befeuert hat. "Es gab einmal eine Zeit, da hatten wir alle noch Hoffnung auf Zukunft", sagt Iokaste. Ähnlichkeiten mit heutigen Verhältnissen sind überdeutlich. Standing Ovations für diese klare Botschaft am Schluss des eindrücklichen Abends.
Birgit Schmalmack vom 28.12.23




Iokaste, DSH Foto: Thomas Aurin)

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