Antigone, Thalia
Theatererlebnis für alle Sinne
Das vorletzte Bild macht die Stärke dieser Inszenierung deutlich: Haimon (Mirco Kreibich) will seine geliebte Antigone (Aenne Schwarz) vor dem Todesurteil durch seinen Vater (Joachim Meyerhoff) retten. Sie hängt mit einem Strick um den Hals von der Decke herab. Mit seinen aufgereckten Händen stützt er ihre Fußspitzen so ab, dass sie sie nicht erdrosselt wird. Während der Chor herzzerreißend singt, zittert Haimon schon am ganzen Körper, bis ihn seine Kräfte verlassen, er einknickt und damit seine Verlobte tötet.
Zu Beginn trägt Antigone ihren toten Bruder Polyneikes, der im Kampf gegen seinen Bruder Etoekles gefallen ist, über die Bühne und legt ihn auf die rote Erde. Nur in Unterwäsche bekleidet sind sie noch Menschen, die sich frei von Konventionen bewegen. Im Laufe des Abends werden sie immer weitere Wäschestücke anlegen und schließlich ganz in den Regeln der Gesellschaft angekommen sein. Das gilt besonders für König Kreon, der sich zum Schluss in schwarzem Anzug mit Krawatte präsentiert. Als Antigone ihrem Onkel nach seiner Machtübernahme begegnet, hat er sich nur ein Tuch um die Lenden gewunden. Sie wirft sich ihm an den Hals und er trägt sie wie ein kleines Kind in seinen Armen. Doch schnell ist klar; sie sind nicht einer Meinung. Er hat Antigones gefallenen Bruder Polyneikes zum Staatsfeind erklärt und ihm ein Begräbnis verwehrt. Sein Leichnam soll den Aasgeier zum Fraß ausgeliefert werden. Das will Antigone nicht zulassen. Mit seiner Todesstrafe verurteilt Kreon gleichzeitig die Verlobte seiner Sohnes zum Tode. Haimon versucht seinen Vater vergeblich mit Argumenten zu überzeugen. Auch der Chor kann ihn nicht umstimmen. Mitten im Publikum sitzt und steht er. Immer wenn die Spannung einen seiner Höhepunkte erreicht hat, schwellen die gewaltigen Tonkaskaden (Musik: Soap&Skin) aus den Rängen an. Mächtig tönen die Bass- und Sopranklänge, auch wenn die Worte nicht immer zu verstehen sind. Dazu wird auf der Bühne die Wand aus Licht (Bühne: Florian Lösche) zu einem weiteren Mitspieler in diesem Drama. Geblendet von den aufscheinenden Scheinwerferkegeln sind nicht nur die Personen auf der Bühne sondern auch die Zuschauer.
Regisseurin Jette Steckel spielt in diesem Gastspiel der Wiener Burg am Thalia Theater gekonnt und effektvoll auf der Klaviatur der Gefühle. In einem Schattentheater-Schnelldurchlauf erinnert sie ohne Worte an die Vorgeschichte des Ödipus-Geschlechtes für die uninformierten Zuschauer. Das Argumentationsdrama von Hölderlin kürzt sie auf das Nötigste ein und reichert es geschickt um zu Tränen rührende Madrigal-Gesänge - unterlegt mit harten Beats - an. So wird dieses Drama zu einem mitreißenden Gefühlsspektakel, das aber dennoch den Grundkonflikt um die Verführbarkeit durch Macht nicht aus dem Auge verliert. Die intellektuelle Komponente des ursprünglichen Textes ist so auf ein leichter zugängliches Niveau gestutzt, doch das ist bei einem so eindrücklichen, dafür alle Sinne ansprechenden Theatererlebnis gut zu verschmerzen.
Birgit Schmalmack vom 13.1.16
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