Die Protokolle von Toulouse, Thalia in der Gaußstr

Die Protokolle von Toulouse Foto von Krafft-Angerer


Verschiedene Standpunkte

Zwei Muslime sitzen zusammen auf einer chromblitzenden fahrbaren Bühne. Sie tragen trendige Alltagsklamotten. Ab und zu nehmen sie sich in den Arm, mal legt sich einer von ihnen auf die Empore, dann hockt sich der andere hinter den ersten und manchmal sitzen sie weit vonseinander entfernt. Dann entfernen sich ihre Standpunkte und ihre Aufenthaltsorte und sie schieben die Podestteile weitmöglichst auseinander. Freunde könnten sie seien, die dort miteinander über die rechte Lebenshaltung diskutieren. Doch das sind sie nicht: Der eine von ihnen ist ein Polizist, der andere ein Islamist, der sich nach einem Anschlag auf eine jüdische Schule mit zig Waffen in seiner Wohnung verschanzt hat. Der eine will auf keinen Fall aufgeben, der andere ihn zum friedlichen Einlenken überreden. Der eine will alle Ungläubigen töten, der andere als französischer Staatsbeamter seinen Job machen. Der eine sieht sich im Namens seines Glaubens in der Pflicht mit Waffengewalt für die Verteidigung des Islams zu morden, der andere will schlicht in seinem Privatleben ein möglichst guter Moslem sein. Trotz der Unterscheide gibt es eine mögliche, gemeinsame Basis der Verständigung zwischen den beiden.
Dieses Gespräch hat es wirklich gegeben. Das Stück beruht auf einem Mitschnitt, den Karen Krüger ins Deutsche übersetzt hat. In Wirklichkeit war nur eine Verständigung über Walkie-Talkie möglich zwischen dem Muslim, der am 21.3.12 in Toulouse mit einer Waffe sieben Menschen tötete und dem Polizisten, der mit ihm verhandelte. Malte Lachmann rückt sie in seiner Inszenierung konsequent auch in räumliche Nähe. Beide wirken gleichermaßen sympathisch. Sowohl Thomas Niehaus wie auch Rafael Stachowiak erscheinen wie die netten Kumpels von nebenan. So befremdend die Argumente von Mohammed auch klingen – im Laufe der Diskussion kann auch der Zuschauer nicht umhin, sich in seine Gedankenwelt zu begeben und ihrer inneren Logik zu folgen, genauso wie Hasan es tut. Verfremdet wird das Gespräch noch weiter durch die chromglitzernde, bunt beleuchtete Showtreppe und die launigen Pausenmelodien, die das Aufladen der Walkie-Talkie-Batterien überbrücken. Eine sehr intensive Theaterstunde, die die Realität auf der Bühne ins Lampenlicht rückte.
Birgit Schmalmack vom 2.2.13