Gogota Picnic
Kein Skandal
Hält die Musik Haydns einem Chaos aus Burgern, Melonen, Dreck, Wasser, Farbe, Schmiere, Gel, Kleidungshaufen, Bildern und Worten stand? Regisseur wagt das Experiment. Nachdem er einen Müllhaufen der Zivilisation im Laufe der ersten eineinhalb Stunden auf der Bühne angerichtet hat, im Verlauf derer keiner der Darsteller sauber und angezogen geblieben ist und kein Fleckchen der Bühneneinrichtung unzerstört geblieben ist. Nachdem also alle sorgsam zu einem Burgerteppich ausgelegten Brötchen, die den Bühnenboden zu Beginn bedeckten, zerdrückt, zerbröselt, verteilt, gegessen, ausgespuckt, besprüht und zusammen geschoben worden sind. Nachdem die Darsteller in zig aneinander gereihte Wortkaskaden vielfach das Ende der Welt, der Kultur, der Moral und seiner zivilisatorischen Kräfte beschworen haben. Nachdem alle sich übereinander gewälzt, sich die Schamhaar mit Gel immer neu drapiert haben und vom Himmel gefallen sind, streift sich auch der MacDonalds-Mitarbeiter die Kleidung vom Leibe, setzt sich als Pianist ans Klavier und spielt Hadyns Oratorium „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“. Stille, Ruhe, Beschaulichkeit greift um sich, wo zuvor das Chaos tobte. Glaubt der Regisseur etwa doch an die Macht der Schönheit der Kultur, von Menschen erschaffen? Wo er doch zuvor genau diese Kulturerzeugnisse als Verherrlichungen der verqueren christlichen Symbolik der Schmerzes, der Gewalt und des Terrors gebrandmarkt hatte? Doch in die letzten Klänge Hadyns donnern die Fallgeräusche des „Gefallenen Engels“ in die gerade entspannten Ohren der Zuschauer. Auf der großen Leinwand ist zu sehen, wie Luzifer in Jesus-Catsuit aus dem Himmel auf die Erde stürzt. Kein Fallschirm bremst den freien Fall der im Konsum ertrinkenden Gesellschaft.
Ein Skandal wurde es in Hamburg nicht. Die wenigen betenden und singenden Demonstranten vor dem Theater hätten des vorsorglich bestellten Polizei- und Sicherheitskräfteeinsatz nicht bedurft. Das Hamburger Publikum nahm die gesellschafts- und religionskritischen Töne Rodrigo Garcías gelassen hin.
Birgit Schmalmack vom 26.1.12
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