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Den Stoff der Antigone in den Amazonas zu bringen, ist das kulturelle Aneignung im umgekehrter Richtung? Oder versucht Milo Rau sich die Landlosen-Bewegung MST für die Dramatisierung des antiken Tragödie nutzbar zu machen? Doch diese woken Begrifflichkeiten müssen einen wie Milo Rau nicht bekümmern. Er fährt unermüdlich mit seinem Theaterteams an die Schauplätze der Welt, an denen die Ausbeutung des vom Westen importierten Kapitalismus besonders deutlich wird und stellt sich dort an die Seite von Menschen, die sich dagegen zu wehren versuchen. Dieses Mal ist er im Amazonas unterwegs und transferiert dort den Antigone-Stoff auf den Kampf der Landlosenbewegung Brasiliens. Den Kern der Aufführung bilden die Vorgänge rund um das Massaker am 17.4.96, bei dem von der Militärpolizei 19 Menschen erschossen wurden. Dieses Massaker wird in einem Re-enactment auf der Bundesstraße 55 nachgestellt und gefilmt. Seine Ereignisse sind auf der Bühne gleich zweimal zu sehen, nein eigentlich viermal. Zu Beginn des Abends auf der Filmleinwand und zeitgleich auf der Bühne und zum Ende noch einmal in zweifacher Ausführung. Denn dies kennzeichnet diese Arbeit: Auf der immer wieder heruntergelassenen Leinwand werden die gefilmten Szenen aus Brasilien gezeigt und auf der Bühne agieren derweil vier Schauspieler zwischen Tisch, Monoblocs und Instrumenten auf viel staubiger Erde. Immer wieder wechselt das Geschehen zwischen dem Tragödientext von Sophokles, den historischen und biographischen Erzählungen der Aktivistinnen und den Befindlichkeiten der beiden beteiligten belgischen Ensemblemitglieder hin und her. Hier ist dann sehr viel Platz für selbstkritische Betrachtungen des westlichen Blicks. Ebenso gibt es viel Raum für die Perspektive der Brasilianer:innen auf die Europäer:innen, die seit 500 Jahren im großen Stil Unterdrückung und Ausbeutung betreiben. Das kontrastiert aber mit einer überaus herzlichen Aufnahme durch die indigene Bevölkerung, die das europäische Theaterteam in ihrem Dorf willkommen heißt. So stellt Rau eine durchaus romantische Vorstellung von einem glücklichen, nachhaltigen und naturverbundenen, gemeinschaftsorientiertem Ureinwohnerleben der rein ausbeuterischen (auch in kulturellen Fragen) Haltung der Europäer gegenüber. Aber natürlich mit einem noblen Ansinnen: Endlich den berechtigten Interessen und Sichtweisen ausreichend und umfangreichen Platz auf europäischen Bühnen zu verschaffen. Birgit Schmalmack vom 26.1.24
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Antigone im Amazonas, Lessingtage Foto: Kurt Van der Elst
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