Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu änd

Die Rache der Fledermaus, Thalia Foto: Krafft Angerer


An einer Stelle des Abends sollen die Zuschauer:innen mit in den Gesang auf der Bühne einstimmen. Dann singt der ganze Theatersaal im Thalia: "Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist." So kann der Tanz auf dem Vulkan auf der Bühne weitergehen, mit Zustimmung des Publikums.
Ein quietschgrünglitzernder Frosch (Cathérine Seifert) erzählt zu Beginn viele Minuten lang mit hellem Stimmchen, was dies hier alles nicht sei: Keine Unterhaltung, keine Aufklärung und definitiv keine Operette. Obwohl doch "Fledermaus" und "Johann Strauß" draufsteht. Und im Orchestergraben sich entsprechende Musiker positioniert haben. Doch zunächst statt Operettenklangseligkeit nur ein dumpfes Dröhnen. Unheil verkündend. Ebenso wie die Tiere, die auf die Bühnenrückwand projiziert werden. Als Schwarz-Weiß- Silhouetten wie in einem Autoscheinwerfer kurz vor dem Zusammenprall. Denn von einem Menschen gemachten Zusammenprall Mensch gegen Natur will auch der Frosch berichten, wenn er nach und nach die Tiernamen aufzählt, die sich zu ihm auf die Bühne stellen. Einer nach dem anderen gehört zu einer Tierart, die schon ausgestorben ist.
Doch dann erklingt die erste beschwingte Musik aus dem Orchestergraben, die Tiere streifen ihre Masken ab und mutieren flugs zu den Operettengestalten der Fledermaus. Hier geht es nun darum, wie aus einem Faschingparty-Streich bittere Rache wird. Weil Gabriel von Eisenstein (Felix Knopp) einst seinen Freund Dr. Falke (Björn Meyer) in seinem Fledermaus-Kostüm sturzbetrunken nach durchzechter Nacht allein zurückließ und damit am nächsten Morgen dem Gelächter aller Passanten der Stadt aussetzte, revanchiert dieser sich Jahre später auf seine Weise. Wie Regisseurin Anna-Sophie Mahler nun allerdings diese abgründige Operette zu einem Stück gegen das Artensterben und die Klimakatastrophe ummünzt, muss nicht unbedingt einleuchten. Übt hier die Fledermaus stellvertretend für all die anderen Arten, die wie sie bald von der Erde verschwunden sein werden, eine umso raffiniertere Rache an den Menschen, indem sie auch deren Lebensgrundlage vernichtet? Der Zwischenruf von Thomas Köck "und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr", den die Regisseurin mit der Operette verschneidet, gehen zwar optisch ineinander über, haben aber inhaltlich erst einmal nichts miteinander zu tun. Mahler bleibt die Erklärung weitgehend schuldig, worin sie eine Verbindung sieht. Dennoch ist der Applaus des Publikums am Ende begeistert. Es feiert zu Recht die Schauspieler:innen, die nicht nur als Tiere und Menschen glänzen sondern auch die Arien mit Bravour meistern. Insofern kann man dem Frosch in einem nicht beipflichten: Dieser Abend war definitiv Unterhaltung, wenn Mahler sich auch bemüht hat, diese mit einem winzigen, mahnendem Zeigefingers anzureichern. Doch dessen Stimme bleibt so piepsig wie die des Frosches.
Birgit Schmalmack vom 5.12.22