Kontinuität der Macht

Eurotrash, Thalia Foto: Krafft-Angerer




Mühsam quält sich die alte, abgemagerte Dame mit krummem Rücken in ihrem feinen gelben Chanelkostüm die Stufen bis zum Aussichtsturm hinauf. Denn sie gibt nicht auf. Schließlich ist sie gewöhnt zu den Oberen der Gesellschaft zu gehören. Obwohl sie sicher schon bessere Zeiten gesehen hat, weiß sie ihrem Auftreten sofort klarzumachen mit wem die Menschen es hier zu tun haben. Sie verschafft sich den Respekt, den sie ihrer Meinung nach verdient. Barbara Nüsse ist die Idealbesetzung für diese selbstgewisse alte Dame, die selbst mit ihrem Rollator so durch die Gegend kurvt, als wenn es ihr früherer Mercedes wäre. Zeichen der Schwäche offenbart sie nur, wenn sie es für zweckdienlich hält. Ihrer Arroganz und ihrem Machtbewusstsein des Schweizer Geldadels schadet auch ein krummer Rücken und ein künstlicher Darmausgang nicht.
Als sie ihren Sohn Christian zu sich nach Zürich einbestellt, sind die Machtverhältnisse scheinbar von vornherein klar. Sie ist die alles beherrschende und anherrschende Mutter und er der unterlegene Sohn, der alles hinzunehmen hat. Bis er aus der Opferrolle in die aktive umschwenkt und sie kurzerhand mit auf eine Reise nimmt. Viel Zeit hat er schließlich nicht mehr, um auch für sich die Vergangenheit konfrontativ anzugehen, um sie zu verarbeiten. Und dafür braucht er seine Mutter, so lange sie noch lebt. Während die Mutter von einem Trip in ihr geliebtes Afrika träumt, kurvt er mit ihr durch die Schweiz. Den Sohn treibt vor allen Dingen eines um: Wie konnte die Mutter zu der Nazivergangenheit ihres Vaters Zeit ihres Lebens schweigen? Ihre lakonische Antwort: Genau so, wie wir beide die ganze Zeit geschwiegen haben. Ihre gemeinsamen Erinnerungsziele muten belanglos an: Eine ökologisch germanistische Kommune, bei der Christian gute Menschen zu treffen hoffte, das ehemalige Haus, in dem sein Vater lebte, das Haus seiner Kindheit, eine Seilbahnfahrt auf einen Gletscher, bei dem die Muter zwar kein Edelweiß aber dafür einen Fuchs erblickt. Die höchst intime Reise der beiden wird in der Bühnenadaption des Romans von Christian Kracht von Stefan Pucher zu einem Schauspielerfest für Barbara Nüsse und Jirka Zett. Sie ergeben zusammen ein skurriles Pärchen, das sich wenig schuldig bleibt. Der Abend plätschert ohne Pause in meditativen Gesprächsszenen dahin. Er wird zu einem intimen und intensiven Zwiegespräch zwischen den Generationen über Familie, Schweigen, Traumata, mangelnde Verantwortung, und Kontinuität der Macht. "Wahre Vornehmheit braucht keine Gucci Tasche sondern kann ihr Geld einfach in einer Plastiktüte mit sich tragen", sagt einmal der Kellner in einem Restaurant, das beide gemeinsam auf ihrer Reise besuchen. Damit hat er die Haltung der Mutter treffend beschrieben. Ob die Mutter diese trotz oder weil der Nazivergangenheit ihres Vaters bewahren konnte, ist am Ende keine Frage mehr sondern zu einer Gewissheit geworden. Doch Jirka Zett macht in seinem Spiel deutlich, dass die jüngere Generation keinesfalls mutiger ist. Der Sohn leistet sich seine offensive Offenheit nur, weil sie für ihn mittlerweile mit keinerlei Risiko mehr verbunden ist. Selbst dem Streit mit seiner Mutter ist er schließlich 50 Jahre lang aus dem Weg gegangen.
Birgit Schmalmack vom 17.3.22