Cry Baby, Theaterfestival

Sophie Rois in Cry Baby Arno Declair


Die Schlaftrunkenheit der Gesellschaft

Es ist nur ein winziger Schritt von der ständigen Karrieregeilheit, die den Menschen zum Dauersprint antreibt, und der tiefen Ausgebranntheit, die den Menschen ins Bett wirft. "Ich bin so müde", seufzt Sophie Rois, als sie im weiten weißen Leinenschlafhemd die Bühne betritt. Nur noch aufs Bett werfen, das ist ihr Wunsch. Doch das ist schon besetzt: Immer mehr junge Frauen kriechen auf das goldene Polsterbett, das sich unter den Baldachin einer bemalten Gardine schmiegt. Sie türmen sich in ihren wild gemusterten Seidenschlafanzügen zu einem bunten Berg aus müden Leibern aufeinander. Doch sie können auch anders. Blitzschnell wandeln sie sich zur Tanzgruppe, zur Gesprächspartnern, zum Erschießungskommando oder zum Bajonett-Bataillon. Quirlig ist diese Mädchentruppe, sie lässt Rois nie zur Ruhe kommen.
Da braucht es gar nicht erst den nörgeligen Zuschauer (Bernd Moss), der von seiner Loge, die sich auf der Bühne befindet, den Gegenwert zu seinem Eintrittspreis einfordert. Doch er wohnt schließlich einer Performance von Pollesch bei und da ist es naturgemäß schwer zu sagen, wann ein Stück anfängt und wann sein Ende findet, geschweige denn, welches Thema es hat. Klar ist nur: Pollesch nimmt sich und sein Team wie stets gehörig selbst auf die Schippe, ebenso so wie er gesellschaftliche Tendenzen aufspießt.
Hier der Zwang zwischen Daueroptimierung, zur Selbstverwirklichung, zum Selbstausbrennung und dort der sicher folgende Dauererschöpfungszustand. Rois Müdigkeit ist nur die Kehrseite ihrer Auftrittsgier. Sie will auf die Bühne. Da aber nur das etwas wert ist, wofür man einen Preis bezahlt, hat sie für ihren Auftritt 20000 Euro hingeblättert. Ist das noch Kunst? fragt sich nicht nur Moss.
Rois ist das Zentrum der Inszenierung. Sie springt von einem Moment zum nächsten in neue Gefühlszustände und alle nimmt man ihr ab. Sie spricht alle Sätze, als wenn sie einen tiefen Sinn hätten, auch wenn Pollesch sie so lange durch seine Wortverwurstungsmaschine dreht, bis sie im Kopf einen Knoten hervorrufen. Doch in dieser Inszenierung des Polleschtheaters hat sie mit dem quicklebendigen, witzig pointierten Chor einen wunderbar wendigen Gegenpart, mit Bernd Moss einen ebenso ironiebegabten Widerstreiter und mit Judith Hofmann und Christine Groß souveräne Mitspielerinnen. Ein sehr unterhaltsamer Abend, der beschwingt aus dem Theater gehen ließ.
Birgit Schmalmack vom 24.5.19