Wie geht es dir, Europa?
Wie geht es dem Patienten Europa? Acht junge Leute werden dazu auf der Bühne als Vertreter Europas befragt. Ihre klare Antwort: nicht gut.
Sie sagen Sätze wie diese: "Ich bin Europa, ich fühle einen Riss." "Ich fühle Angst und Hass."
Acht Darsteller aus Frankreich, Portugal, Holland, Frankreich, Kroatien und Belgien fühlen Europa zu den Themen Heimat, Beziehungen, Religion, Familie, Nation und Grenzen den Puls. Das Stück unter der Regie von Falk Richter und Nir de Wolf ist eine internationale Co-Produktion; die Uraufführung war vor gut zwei Wochen am Das Théâtre National de Strasbourg. Anklagend lassen sie ihre Wut über alles raus, was schief läuft: Sie beklagen die mangelnde Klimapolitik, den Rechtsruck, den neoliberalen Finanzkapitalismus, das Aufklaffen der Schere zwischen Arm und Reich.
Auf der Bühne ist wackeliges Herumbalancieren auf Schaumstoffquadern zu sehen. Die Performer stoßen sich an Glaswänden, auf die die Hate-Botschaften aus ihrem Facebook-Account projiziert werden. Bildschirme sind auf der Bühne verteilt, über die die mediale Dauerflut von alarmierenden Bildern laufen. Eingezwängt zwischen Aufbruchswillen und bedrohlichen Entwicklungen präsentieren sich die acht Performer. Sie wollten mit ihren Lebensentwürfen eigentlich aufbrechen zu neuen internationalen und interkulturellen Formaten und wo finden sie sich wieder? Sie, die sich die Aufhebung von Grenzen, die Legalisierung der Homoehe und eine Familie zu dritt wünschen, finden sich zwischen Pegida-Demos und Gelbwesten- Protesten wieder.
Sie werden zu der personifizierten Anklage wahrer Europäer gegen die Politiker, die die Spaltung vorantreiben, die Ghettos zulassen, die Arm und Reich immer weiter auseinander driften lassen, die die Gelbwesten auf die Straße treiben, die die Banlieues brennen lassen, die die Engländer nicht in der EU halten können, die Identitäten zerbrechen lassen, die die Menschen in die Arme vom Front National und der AfD treiben.
Dieser Aufruf zum Aufstehen für Europa wird zur alarmierenden Anklage gegen die anderen und die da oben. Doch sind diese jungen Leute auf der Bühne nicht ein Teil von Europa? Stellen sie nicht eigentlich die Zukunft dar? Wie können sie sie mitgestalten und Mitstreiter finden? Diese Aspekte drohen bei "I am Europe" unter dem Dauerbeschuss der Reproduktion des medialen Aufruhrs fast zu verschwinden. Eine Produktion, die so eher bange macht als zum Mitkämpfen für die europäische Idee einlädt.
Birgit Schmalmack vom 4.2.19