Dritte Republik, Thalia Theater




Unmögliche Grenzziehungen

Eine undurchsichtige Nebelwand umfängt die Zuschauer. Nichts ist auf der Bühne zu erkennen. Als Barbara Nüsse die riesige Windmaschine anwirft, bekommen die ersten Reihen einen realistischen Eindruck von den Wetterverhältnissen, unter denen sie als Landvermesserin K. unterwegs ist. In einem Schneesturm ist sie im Auftrag der Regierung losgezogen um die Grenzen neu zu vermessen. Nach dem Ende der Kriegshandlungen soll sie die Fakten klären. Ein hoffnungsloses Unterfangen, nicht nur angesichts des Unwetters.
Wie der Landvermesser K. aus Kafkas Werk "Das Schloss" stapft sie durch eine surreale Szenerie, diesmal die einer Nachkriegswelt. Ihr begegnet ein übrig gebliebener Kutscher (Björn Meyer), ein blinder Fallschirmspringer (Victoria Trauttmansdorff), ein Patient (Bekim Latifi), der sich auf sein Idealgewicht herunter hungert, ein Reeder namens Albert Ballin (Tilo Werner), sein Zwilling (Victoria Trauttmansdorff) und ein Chor der willigen Gehilfen.
Hier trifft die Welt nach dem Ende des ersten Weltkrieges auf eine Welt von heute. Thomas Köcks Stück verschränkt auf kluge Art Historie, Gegenwartsbestimmung und Ausblick auf die Zukunft. Die Landvermesserin trifft auf Menschen, die wieder stolz auf das Nationale sein wollen. Dabei ahnen sie, dass Nationen doch reine Fiktion sind. Tatsächlichen Frieden gibt es nicht, der Krieg kann immer nur für eine gewisse Zeit pausieren. Die Windmaschine symbolisiert das Geheul des Kontinents in all seiner Aufregung. Ständig werden die Grenzen ausgetestet, gezogen und wieder verschoben. Die Sport-Versehrten-Truppe des Chores fungiert als Grenzboten. Alles soll eingeordnet und schön separiert werden. Sollte doch vor nicht allzu langer Zeit die Globalisierung die Welt vereinen, sollen jetzt überall wieder Grenzen gezogen werden und die nationale Identität eine zunehmend große Rolle spielen.
Köck entwirft mit seiner Co-Regisseurin Elsa-Sophie Jach ein albtraumartiges Kaleidoskop an Eindrücken, durch das er aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft blickt. Das ist verwirrend, irritierend und anregend zugleich. Ganz nebenbei darf man sich als Zuschauer an den Bestleistungen auch der Neuzugänge im Ensemble erfreuen.
Birgit Schmalmack vom 21.11.18