Entlang der Gräben

Verständnis entwickeln

Der Abend im Thalia beginnt ungewöhnlich. Kaum hat der Spiegel Moderator den Abend eröffnet, wird es laut. Demonstranten entrollen vom obersten Rang Transparente und werfen Geldschein in den Zuschauerraum. Sie fordern Solidarität mit den Kurden und den Rücktritt von Sigmar Gabriel, der mit Navid Kermani auf dem Podium sitzt. So geht es erstmal nicht um sein Buch "Entlang der Gräben", das heute Abend eigentlich vorgestellt und diskutiert werden soll, sondern um den Protest der Demonstranten. Doch sie werden nicht das umsetzen, was Kermani später immer wieder während der Lesung vorschlagen wird: Zuhören und Versuschen zu verstehen. Die Demonstranten wollen kein Gespräch mit Sigmar Gabriel, das er ihnen anbietet, sie wollen nur ihre Position zu Gehör bringen. Nach einigen weiteren Runden des Versuch einer Entgegnung und des weiteren Niederschreiens, verlassen sie den Raum und die erste Teilabschnitt kann von Schauspieler Sebastian Rudolph gelesen werden.

Kermani ist für dieses Buch weit gereist. Er hat von seiner Heimatstadt Köln aus den Osten Europas bereist und in Tageskapiteln beschrieben. Er erzählt wie er in Auschwitz zu einem Deutschen wurde, weil er sich einer Sprachgruppe zuordnen. Er berichtet, dass er ganz Weißrusslands als ein riesiges Kriegsdenkmal erlebt habe und deswegen verstehen könne, warum die Weißrussen sich eher Russland als der EU zuordnen würden. Er bereist die Ukraine und erlebt die strikten unüberwindlichen Grenzziehung in der Region Berg Karabakh, die sich nach dem Wegfall der äußeren Klammer der Sowjetunion offen zeigen.
Immer wieder plädiert Kermani für Verständnis der Positionen in anderen Ländern, die sich aus deren Geschichte erklären würden. Er lobt den Reichtum Europas, der gerade durch die Vielfalt der unterschiedlichen Haltungen und Kulturen ergeben würde. Dieser sollte nicht als Gefahr sondern als Chance gesehen werden. Gabriel erinnert an die Grenzen dieses Verständnisses, wenn sie sich auf die Ziele der EU beziehen würden. Dann gäbe es nicht nur ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sondern eine EU der unterschiedlichen Richtungen, die auseinander streben. Dennoch verabschiedete er sich mit einer Empfehlungen für den nächsten Außenminister: Navid Kermani.
Birgit Schmalmack vom 5.2.18