Ein guter Migrant

Der DJ ist mein Vater, TD (c) Helena Tsiflidis


Ihr Vater war ein guter Migrant. Sie als Tochter wird nun zur Belastungsprobe seiner Migration. Hat sich seine gefährliche Flucht aus Bulgarien gelohnt? Sind seine vier Kinder so gut geraten, wie er sich es gewünscht hatte? Er selbst hatte es geschafft. So viel war sicher. Er konnte perfekt Deutsch sprechen, trotz seines nie abgelegten Akzents strömten die Patienten in seine Zahnarztpraxis. Er hatte den Aufstieg geschafft, nun sollten seine Kinder auf keinen Fall zurückfallen. Wie hätten sie es auch begründen sollen? Um wie viel leichter hatten sie es im Vergleich zu ihm gehabt. Sogar seinen bulgarischen Namen hatte er aus strategischen Gründen eingedeutscht. Bloß jede mögliche Hürde für die gelungene Integration ablegen.

In ihrem Theaterfilm "Der DJ ist mein Vater" untersuchen nun "Bambi Bambule", das Team aus Lisa Marie Stojček und Marie Jordan, die besondere Beziehung zwischen Stojček und ihrem bulgarischen Vater. Viel zu früh und unerwartet ist der Vater verstorben. So viele Fragen, so wenig Antworten. Doch die beiden Theatermacherinnen stimmen mit der Feministin bell hooks überein: "Wir erkennen erst unsere wahre Kraft, wenn wir die Wahrheit aussprechen, dass Männer ein Teil unseres Lebens sind, ob wir das nun wollen oder nicht.“ Doch heißt es irgendwann im Laufe des Films auch: "Dies ist nicht die Wahrheit."

So untersucht Stojček nun, wie sie als Tochter und als Frau von ihrem Vater geprägt worden ist. Zunächst ganz praktisch: Sind die Nase, ihre Schulterblätter oder ihre Knie von ihm oder von ihrer Mutter? Welche Musik verbindet sie mit ihrem Vater? Welche Sprache war die geeignete? Was verbindet sie mit Bulgarien? "Bambi Bambule" wählen dafür eine hybride Form zwischen Film und Theater. Die Rauminstallationen, in denen Stojček die Szenen selbst spielt, sind solche, die auch direkt auf der Bühne gezeigt werden könnten, denn sie sind größtenteils auf der Bühne des Theaterdiscounters gedreht. Doch die filmischen Mittel, die sie einsetzen, nutzen geschickt dessen Möglichkeiten aus. Wenn sie Rückblenden in die Vergangenheit bebildern, changieren die Filmaufnahmen ins Gelbliche der Achtziger. Wenn die Musik von Rahel Hutter eingespielt wird, schwenkt die Kamera hinter den Bühnenvorhang und die Musikerin an ihrer E-Gitarre wird sichtbar. Die längste Szene inszeniert die Trauerfeier. Stojček sitzt an einer langen Tafel voller Wassermelonenschnitten und Feta-Würfeln. Während sie Rahel und dem Kameramann eifrig nachschenkt, sprudeln die Erinnerungen an ihren Vater aus ihr heraus. Ohne die anderen zu Wort kommen zu lassen, isst, redet und trinkt sie pausenlos. Einbahnstraßenkommunikation als Trauerbewältigung.

Auch am Ende bleiben mehr Fragen offen als Antworten gegeben werden. Während man vor der Leinwand sitzt und die abgefilmten Theaterszenen sieht, wünscht man sich immer öfter, dass keine Projektionsfläche zwischen den Performenden und den Zuschauenden wäre. Hinter ihr blieb leider ein Teil der Kraft und Dringlichkeit dieser Vater-Recherche zurück.
Birgit Schmalmack vom 8.7.21