Die Kraft der Liebe
Welche Auswirkungen die Liebe auf die Menschen haben kann, untersuchen zwei Opern, die jetzt an einem Abend in der Opera Stabile zu sehen waren. Zwei junge Nachwuchs-OpernregisseurInnen haben "L’incoronazione di Poppea" von Monteverdi und "Alcina" von Händel in zwei jeweils einstündigen Kurzfassungen auf die Bühne gebracht und sie dazu auf ihre Kernfragen komprimiert. Die Kaiserin Ottavia (Ascelina Klee) leidet darunter, dass ihr Ehemann Nero (Joël Vuik ) sie gegen seine neue Gespielin Poppea (Judith Österreicher ) austauschen will, nach der er ganz verrückt ist. In der Inszenierung von Mien Bogaert werden die Machtspiele, die hier im Namen der Liebe getrieben werden, sehr schön herausgearbeitet. Seine Geliebte stiftet ihn nicht nur zum Verstoßen der Ehefrau sondern zum Mord an seinem Gelehrten Seneca am Hofe an. Diesen Seneca hat Bogaert als Künstler im Andy-Warhol-Verschnitt interpretiert. Nero hat kein leichtes Spiel, denn nach Senecas Tod tauchen sofort vier neue Warhol- Inkarnationen auf und sorgen dafür, dass sein Gedankengut nicht stirbt. Die Intrige, die Poppea antreibt, deren Manipulationen, denen Nero erliegt, die Gewalt, die Nero skrupellos anwendet, haben auf Dauer keine Chance gegen die Freiheit der Kunst und der Philosophie.
Noch weiter destilliert hat Michelle Affolter hat die Oper "Alcina", und zwar auf vier Personen und sich voll auf ihre Wünsche, Ängste und Sehnsüchte konzentriert. Auf vier Podeste hat sie die die Zauberin Alcina (Freja Sandkamm), ihre Schwester (Marlen Korf), ihren Lover Ruggiero (Jung Kwon Jang) und dessen Verlobte Bradamante (Alina Behning) gestellt. Zunächst sind die Podeste noch mit teurem Brokat-Stoff verkleidet, den Alcina später wütend abreißt, als sie ihre Zauberkraft schwinden fühlt. Doch eigentlich spiegeln sie mit ihrer reflektierenden Oberfläche nur die Egos der vermeintlich Liebenden wieder. Nicht unbedingt die Liebe treibt sie an, sondern die Projektion ihrer eigenen Wünsche auf den anderen. Zunächst ist Ruggiero ganz von den Liebesergüssen der Zauberin gefangen, doch dann befreit ihn seine Verlobte aus deren Liebeszaubernetz und erinnert ihn an seine ihr versprochene, wahre Liebe. So schafft er es sich von Alcina zu befreien und ihren Einflussbereich zu verlassen. Die beiden Countertenöre Jung Kwon Jang und Joël Vuik stechen aus dem insgesamt sehr gut besetzten Sänger-Ensemble heraus. Beide verstehen es nicht nur mit ihren beeindruckenden Stimmen sondern auch mit ihrem fulminanten Spiel zu fesseln. Ein interessanter Abend, der diesen Männern mit ihren weiblich angehauchten Stimmlagen und ihren Liebesgefühlen mit sicherem Gespür für das Wesentliche nachspürte. Birgit Schmalmack vom 6.11.17
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