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| Orestie, Thalia |
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Orestie, Thalia
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Die Macht der Masse
Überall sind die Augen und Ohren der Menge präsent. Kameras braucht diese Gesellschaft noch nicht. Rein analog mit ihren eigenen Augen aus ihren Fenstern heraus beobachten die Menschen auf der Suche nach Skandalen das Geschehen. Gleichzeitig senden sie ihre Botschaften, gut getarnt als sakrale Gesänge (Musik: Max Andrzejewski) in gleichbleibender getragener Melodie. Der Bürgerchor ist ständiger Begleiter des Leben am Hofe Agamemnons. Doch zunächst gibt es wenig zu sehen, alle Personen am Hofe sind in musealer Pose erstarrt und drehen sich auf dem Drehteller im Kreise. Ihre Vorbilder sind auf dem umgebenden Rondell in den alten griechischen Zeichnungen einer Glyptothek zu sehen. Die Vorgeschichte wird vom Chor berichtet, keine Individuen treten in Erscheinung, alle scheinen in der Menge aufzugehen, alle sind austauschbar. Warum machen ihre Kostüme klar: Schließlich handelt es sich um Ratten, die hier die antiken Vorbilder geben. Eine sehr statische, museale und konzeptionslastige Einleitung hat Jungregisseur Ersan Mondtag hier für seine Orestie am Thalia gewählt. Manche der Zuschauer hatten schon zur Pause die Geduld verloren und verpassten die zweite Hälfte. Doch bereits kurz vor der Pause deutete sich eine Wendung an: Der Vorhang mit den griechischen antiken Helden war gefallen und zum Vorschein kam eine Parkgarage, die sich alsbald in eine Hochhaussiedlung mit Parabolantennen und Geranienkästen verwandelte. Die Antike war in der Gegenwart angekommen. Die Bürger starrten weiterhin aus ihren Fenstern und beobachten, was sich nun in ihrem Hinterhof abspielte. Hier hatten die Königs-Ratten ihre Fellkostüme gegen schwarze Einheitskluft getauscht und ereiferten sich lautstark über Fragen der Moral und Gerechtigkeit. Als die Masse nach Rache und Krieg rief, führten die angeblichen Machthaber aus, was die Menge, die Götter oder wer auch immer von ihnen verlangte. Nachdem Orest (Sebastian Zimmler) schließlich wunschgemäß den Mord seiner Mutter (Marie Löcker) an seinem Vater (André Szymanski) gerächt hat, indem er seine Mutter abschlachtete, wandelt sich das Parkhaus zu einem Richterrund. Als die herbeigerufene Göttin Athene nicht mehr weiß, ob sie Orest schuldig oder unschuldig sprechen soll, ruft sie ein Bürgergericht ein. Mit ihrem Stimmsteinen sollen sie über Schuld entscheiden. Unschwer ist Athene (Cathérine Seifert) in dieser letzten Szene als Angela Merkel mit ihrer Fingerraute und ihren permanenten Handyspielereien zu erkennen. In altbewährter Art lässt sie erst alle Bürger ihre Stimme abgeben, um dann aber am Ende mit ihrer Stimme das Zünglein an der Waage zu spielen. Am Ende dreht sich der Drehteller wie zu Beginn, die Ratten nehmen ihre Posen ein, doch alle verfallen bald in einen lautstarken Streit. Der Krieg und die Rache wird weitergehen. Mondtag stellt den zarten Anfängen der Demokratie keine optimistisches Prognose aus und zeigt damit, wie zerbrechlich sie ist. Mondtag wollte viel in dieser Orestie-Inszenierung. Er wollte den Einfluss der Masse auf die Entscheider demonstrieren, die dadurch austauschbar werden. Da sich weder die Masse noch die Politiker klar mit ihrer Meinung zu erkennen geben, braucht hinterher auch keiner Verantwortung zu übernehmen. Doch genau dieser Ansatz erweis sich in der Umsetzung auch als schwierig. Die Rattenkostüme und die Austauschbarkeit hielten die Personen auf Abstand und erschwerten das Einfühlen, das aber über eine Dauer von fast dreieinhalb Stunden dringend nötig ist, um die Spannung zu erhalten. Da vermochten auch die eindrucksvollen Bilder, die atmosphärische Musik und die einfallsreichen Kostüme nicht über alle Aufmerksamkeitseinbrüche hinweg zu helfen. Birgit Schmalmack vom 26.10.17
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Zur Kritik von
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John Gabriel Borkman, Theaterfestival Das Ende von Eddy, Thalia
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Druckbare Version
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