Goot gegen Noordwind, Ohnsorg Studio
Telefonsex ohne Telefon und ohne Sex
Der eine braucht eine Marlenverarbeitungstherapie, die andere eine Auszeit vom Ehealltag einer Patchworkfamilie mit zwei geerbten Kindern. So gehen Emmi und Leo auf den zufällig entstandenen Emailkontakt ein. Die virtuelle Begegnung erlaubt einen Flirt mit dem Unbekannten und vorerst Unerreichbaren. Wahrscheinlich ist die Fantasie-Emmi besser als die reale Emmi und so schiebt man einen Transfer in die Realität immer weiter hinaus. Erotik der ganzen Bandbreite der erträumten Möglichkeiten erscheint so viel attraktiver als die mögliche Enttäuschung. „Telefonsex ohne Telefon und ohne Sex“, nennt Emmi das einmal. „Sätze sind wie Küsse“, findet daraufhin der wortgewandte Leo.
Der Erfolgsroman von Daniel Glattauer beschreibt auf unterhaltsame Weise vom Kitzel der Möglichkeiten, die nicht umgesetzt werden müssen. Im Ohnsorg Studio dreht Regisseurin Andrea Udl an der Schraube der Fantasie noch weiter. Zunächst sitzen sich die beiden Schauspieler (Birte Kretschmer, Holger Dexme) noch mit Textbuch in der Hand auf ihren Treppenstufen gegenüber. Erst als sie das Plattdeutsche als eine weitere gemeinsame Basis entdecken, werden sie zu einem, wenn auch nur virtuellen Paar. Auf den zwei schwarzen Treppenpodesten sitzen sie sich vis a vis und können sich dennoch nicht sehen. So sind sie sich nah und bleiben sich dennoch fern. Das Publikum war zu Recht begeistert von der punktgenauen Inszenierung, die viel Raum für die eigenen Fantasien ließ.
Birgit Schmalmack vom 25.6.15