Die Stunde, da wir zuviel voneinander wussten, Kam

Der wortlose Reigen

Bei Begegnungen in einer Großstadt entscheidet sich in Sekundenschnelle, ob man aneinander vorbei geht oder dem anderen einen Moment der Aufmerksamkeit schenkt. In jeder dieser Kurzzeitbegegnungen liegt ein Moment der Hoffnung auf Mehr, aber auch die Rückzugsmöglichkeit in die Anonymität. Nichts verpflichtet. Alles kann, nichts muss. Da kann sich eine Tüllbekleidete einem Fremden wortlos an den Hals werfen, da kann ein Mann in Latexhose und High Heels einem anderen Mann hinterlaufen und ihn als Arschloch beschimpfen, da kann ein Mann eine Frau einfach zum Tanzen auffordern oder eine Büroangestellte einer Frau, die entkräftet auf dem Boden zusammengesunken ist, ihr Pausenbrot schenken.
Diese kleinen Geschichten des Alltags, die ein aufmerksamer Passant in einer Großstadt beobachten kann, haben „Nico and the Navigators“ (Regie: Nicola Hümpel) auf die Bühne gebracht. Natürlich hochverdichtet und um etliche Grade der Skurrilität verschärft. Dennoch fehlt nie die Poesie, die diese Geschichten mit einer opernhaften Bedeutung auflädt, die ihr im hektischen Alltag verloren geht. Ein breit gefächertes Spektrum der menschlichen Ausdrucksformen wird vorgeführt. Einförmiges Reihenhausglück, samstägliche Autowäsche und das Geräusche schnappender Rasenscheren sucht man hier vergeblich. Aber auch die Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit fester Bindungen. Ein Abend, der die Vielfältigkeit lobt und gleichzeitig von der Angst vor wahrer Kommunikation, von der Einsamkeit in Menschenmassen und von der Sprachlosigkeit erzählt. Der Wunsch mehr voneinander zu erfahren unterliegt stets der Furcht zuviel voneinander preisgeben zu müssen.
Die kunstvoll-professionelle Komposition der Begegnungen auf der Bühne spickt die schnell durchschaubare Konzeption so mit Überraschungsmomenten, dass das Zuschauen nie langweilig wird sondern sie zum Staunen einlädt.
Birgit Schmalmack vom 27.4.15




Die Stunde, da wir zuviel vonwinander wussten Foto: Dieter Hartwig)


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