The great report, Kampnagel

The great report, Kampnagel Foto: Robin Hinsch





Das undurchschaubare globale Geflecht der Waren

Der Erzähler in Tom McCarthys "Satin Island" arbeitet an einem "Great Report". Auch am Ende der 240-seitigen Romans wird er nur sein Scheitern vermelden können. Wenn Moritz Frischkorn sein großes Projekt über die Choreographie der Warenwirtschaft mit dem Titel "The great report" versieht, ist die Selbstironie von vornherein gesetzt. Auch er wird mit seinem Künstlerteam scheitern, wenn er versucht, das globale Netz der Marktwirtschaft zu entschlüsseln. Dazu ist ihr Anliegen bewusst zu weiträumig angelegt. Die räumlichen Zusammenhänge erstrecken sich von Beirut über Kreta nach Nigeria. In Beirut produzierte Nour Sokhon eine Soundinstallation, auf Kreta drehte Paula Hildebrandt einen Film, im Nigerdelta gestaltete Robin Hirsch eine Fotodokumentation.

Nach der Kurzeinführung im Foyer dürfen sich die Zuschauer/Innen für zwanzig Minuten wie in einem Museum fühlen. In der K1 erwartet sie eine Ausstellung, die ihnen zwischen Schautafeln und Ausstellungsstücken Häppchen von Informationen anbietet. Hier ein halbes Auto, dort ein Quartettspiel, hier ein Wasserkanister, dort ein Ölkanister. Hier ein Paar Turnschuhe, dort eine liegende Fotoausstellung. Ehe man sich fragen kann, welchem der Informationsangebote man sich näher widmen möchte, wird auf eine der Leinwände ein Film projiziert. Mit Kopfhörern versehen, darf man der Suche von Paula Hildebrandt nach dem Paradies auf Kreta folgen. Zwischen dem einfachen Leben in einer Bergdorfidylle, Kursen auf Golfplätzen für Neureiche, Miterleben von religiösen Traditionen, Nachforschungsbemühungen bei Immobilienprojekten balanciert sie ihr an Zwischentönen reiches Filmprojekt aus.
Danach beginnt sich der Felsbrocken zwischen den Ausstellungsstücken zu bewegen. Die Performerin Maria F. Scaroni kriecht darunter hervor und erkundet in der nächsten Stunde auf ihre Weise die Ausstellung. Sie kriecht unter die Soundinstallation, sie umtanzt die Fotos aus Nigeria, sie erzählt ein Liebesgeschichte zwischen einem Chinesen und einer Amerikanerin, die Grenzen überwindet, und wird schließlich zu einer Rollerskatenden Kunstfigur mit langer blonder Mähne, die die Zuschauer mit ihren um Hilfe ersuchenden Händen zu einem großen Netzwerk machen will und anschließend mit den Marketingsprüchen von Maersk verkündet, dass Wachstum die Antwort auf alle Fragen sei.
Zum Schluss wird die Aufmerksamkeit des Zuschauer/Innen mit Spots auf einzelne Aspekte der Recherchegeschichten gelenkt. Sokhons Soundinstallation liefert Stimmen zu dem Beiruter Müllskandal und den darauf fußenden Immobiliengeschäften. In dem Stimmengewirr, das sich mit Straßen- und Alltagsgeräuschen mischt, geht es aber weniger um den konkreten Fall als vielmehr um diffusen Eindrücke, die man als Outsider in einem unbekannten Terrain gewinnen könnte. Ebenso werden Film- und Hörausschnitte zur Nigeria- Reise von Frischkorn und Hirsch, die sich um die Einblicke in das schmutzige Ölgeschäft des afrikanischen Landes bemühte, eingestreut.
Am Ende der 75 Minuten hat man so viele Einzeleindrücke angehäuft, so viele Schlaglichter vorgeführt bekommen, so viele teils widersprüchliche Teilinformationen bekommen, dass sich der Eindruck der Undurchschaubarkeit des globalen Netzwerkes noch gesteigert hat. Gut dass diese performative Installation nur der Beginn der Verwendung des umfangreichen Materials des "Great Report" ist. Weitere Einzelausstellungen, die Bereitstellung des Materialvorrats im Internet, Zeitungsartikel und Teilvorführungen werden folgen. Die Neugier ist geweckt. Jede dieser Geschichten ruft nach einer Vertiefung, jede erweckt Neugier des längeren Eintauchens und jede fragt dringlich nach der Verantwortung Deutschlands, bzw. des Westens in diesen Geschichten.
Birgit Schmalmack vom 22.1.20