Weibliche Streitlust
Um zu die Wirkung zu erzielen, die eine große Aufgabe braucht, benötigt man eine Ausstrahlung, die die anderen mitreißt. So viel ist klar, doch wie soll man die hervorzaubern? Dazu braucht man schon ein Wunder oder die richtige Musik. Denn schließlich geht es um viel. Um die Freiheit des Landes. Der Kampfes- und Verteidigungswille soll nun ausgerechnet von "Johanna", einem 17-jährigen Mädchen, in den anderen geweckt werden` Einer so jungen Frau? Auch wenn es dafür ein historisches Vorbild gibt, schwer vorstellbar.
Hier in dieser Versuchsanordnung von Regisseurin Leonie Böhm im Malersaal sind es erst einmal vier Frauen, die sich für diese herausfordernde Aufgabe zusammenschließen. Unter einem riesigen toten Baumgeäst (grandioses Bühnenbild: Zahava Rodrigo) wollen sie es gemeinsam anpacken. Auch wenn es zunächst so scheint, als wenn die verschiedenen Persönlichkeiten sich dabei eher behindern als nach vorne puschen. Da ist die kindlich Verspielte (Maja Beckmann), die sich mit fast naivem Übermut in die Aufgabe stürzt. Da ist die nie um Worte Verlegene (Josefine Israel), die mit viel Charisma gerne große Reden schwingt und als Sympathieträgerin auftritt. Da ist die Skeptische (Wiebke Mollenhauer) , der zu allem ein Gegenstandpunkt einfällt und damit erfolgreich jeden noch so kleinen Schritt blockiert und da ist die Sentimentale (Fritzi Ernst), die mit ihrer Musikwagen den passenden Sound zu erzeugen vermag, meist allerdings auch mit eher melancholischem Unterton.
Wir sind Johanna, doch was zeichnet nun eine selbst erklärte Anführerin aus, die klar den Auftrag zur Rettung erkennt und ihre Verantwortung übernehmen will? Immer wieder schwingt sich eine mit großen Worten in ihre neue Rolle hinein, um gleich darauf von den beiden anderen mit einer kritischen Nachfrage wieder auf den Boden der Tatsachen heruntergezogen zu werden. Klar die vier Frauen sehen toll aus in ihren Tüllkostümen (Kostüme: Lena Schön, Helen Stein) mit ihrem derben Schuhwerk, doch ihre dialektische Selbsthinterfragung bremst sie immer wieder aus.
Immer wenn die Zweifel überhand nehmen und sie nicht mehr weiter wissen, finden sie mit Unterstützung der Musikerin zu einem Lied, das über die Denk- und Stimmungsflauten hinweghilft. Leonie Böhm dekonstruiert den Mythos der Johanna-Figur, die zwischen Heldin, Heiliger und Hure schwankt, mit ihren drei Schauspielerinnen sehr sympathisch und unterhaltend, aber auch nachhaltig. In ihrer Inszenierung scheint es unvorstellbar, dass eine 17-Jährige Johanna ein Heer in die Schlacht führen sollte. Ebenso wie diese vier Frauen trotz ihrer aufmüpfigen, mitreißenden Reden je mit anderen Waffen als mit Worten kämpfen könnten. Als endlich die Skeptische unter ihnen in eine wahre Gewaltekstase gerät, treten die anderen gleich den Rückzug an. Das sei ihnen dann doch zu brutal. Als die eine die Auswirkung ihrer Gewaltaktionen beschreibt, spüren die anderen nur den Impuls, diese bitte nur "sanft" auszuführen, die Feinde gleich aufzufangen und trösten. Gewalt, aber bitte nur theoretisch. Ausgerechnet ein Blockflötenduell soll die Fronten klären, scheitert aber natürlich.
Der große Auftritt will also nicht gelingen, immer wieder muss ein neuer Anlauf genommen werden. Um wahrhaft überzeugend zu wirken, den gemeinsamen Herzschlag zu spüren, wirklich nicht nur Körper an Körper sondern Herz an Herz voranzuschreiten, fehlt noch viel. Vielleicht genau die Portion an Testosteron, die das Denken aussetzen lässt und die diese weiblichen Akteurinnen nicht ihr eigen nennen können?
Birgit Schmalmack vom 2.1.23