Die Nase, Staatsoper

Selbstironischer Spaß

Die Wachmänner stolzieren durch das Bühnenbild. Sie werfen ihre Beine in die Luft, das Gewehr immer anschlagsbereit geschultert. Die Staatsgewalt ist stets präsent. Die Metallbauten auf der Bühne lassen stetige Einblicke in alle Räume zu, während sie sich wie auf einem Karussell immerfort drehen. Privatsphäre ist nicht vorhanden und Kontrolle überall. Und dennoch ist hier etwas Unerwartetes passiert Eines Morgen wacht der "Kollegienassesor" Kowaljow ohne Nase auf. Über Nacht ist sie ihm abhanden gekommen. Ohne sie ist seine Stellung in der Gesellschaft ruiniert. Auf keiner Gesellschaft kann er sich mehr blicken lassen. So jagt er seinem abhanden gekommenen Körperteil hinterher. Wie groß ist erst seine Verwunderung, als er seine inzwischen aufgeblähte Nase als Politiker Karriere machen sieht.
Die Kurzgeschichte von Gogol diente Dimitri Schostakowitsch als Vorlage für seine Oper "Die Nase". Seine gegen die Gehör-Konventionen komponierte Musik passt wunderbar zu der wundersamen Geschichte, die die Einschränkungen der russischen Gesellschaft dezent aufspießt. Die Regisseurin Karin Beier belässt sie selbstverständlich nicht in Russland des vorherigen Jahrhunderts. Sie lässt zu den leibhaftigen Soldaten auf der Bühne auch noch G20-Demonstranten und Polizistenformationen auf den Leinwänden aufmarschieren. Ihre Protagonisten werden im Laufe des Abends immer nackter. Ihre unförmigen Schaumstoffkörper (Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Eva Dessecker) wallen unter den Gewehrhalftern, Kochschürzen und Friseurumhängen hervor. Sie werden zu entblößten Karikaturen ihrer selbst. Überspitzte Vertreter einer Gesellschaft der Konformisten, der Überwachten, der Angepassten und der Emporkömmlinge. Im Stile von Herbert Frisch inszenierte sie eine Groteske, in der nur Bo Skovhus als Kowaljow Mensch bleiben durfte. Ihn dürfen die Zuschauer auf seiner verzweifelten Suche mit einer großen Portion Mitleid begleiten. Erst nachdem er seine Nase wieder gewonnen hat, mutiert auch er zu einem aufgedunsenen Durchschnittsbürger und verschwindet wieder in der Masse. Nur sein Mangel machte ihn zu einem Individuum. Als ein zaristischer Polizist ( der Schauspieler Kristof Van Boven) aus den Reihen tritt, nimmt sich Beier die Freiheit kurzfristig aus der Oper auszusteigen. "Steht das so eigentlich in der Partitur?", fragt der Polizist und versucht, das Orchester am Weiterspielen zu hindern. Doch Kent Nagano lässt sein Orchester weiterspielen, während Van Boven seine Wortkanonaden ins Publikum schleudert.
Ein herrlich aufgedrehtes, spaßiges Unterfangen, angereichert mit ein paar beiläufigen Seitenhieben auf eine Gesellschaft der allzu Angepassten, das ist Karin Beier zur Spielzeiteröffnung der Staatsoper gelungen.
Birgit Schmalmack vom 18.9.19



Zur Kritik von

ndr 
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