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Der Kaufmann von Venedig, Lessingtage
Mehr Studie als Drama
Ein Stück wie der "Kaufmann von Venedig" von Shakespeare, das antesemitisches Gedankengut zu bedienen scheint, ist in Deutschland nur schwer zu inszenieren. Das weiß auch Nicolas Stemann. Also hat er für seine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen Shakespeares Text eher als Grundlage für eine Spiel- und Experimentiervorlage als für ein Drama genommen. Stemann arrangiert seine Inszenierung wie gewohnt auf offener Allzweckbühne, in der die Techniker, Musiker und Schauspieler nebeneinander und gleichberechtigt im Stück agieren.
So stehen die Schauspieler zunächst unter dem großen Bildschirm und lesen den Text vor. Klare Rollenzuteilungen gibt es nicht, alle dürfen alles sein, alles ausprobieren, sich in alles einsprechen. Nichts lässt Stemann als Reflektionsrahmen aus: Die Käuflichkeit der Menschen, die möglichen komödiantischen Aspekte des Dramas, Anspielungen auf Naziideologien, Unterdrückung von Minderheiten, patriarchale Machtstrukturen, versteckter Rassismus und die Zumutungen des Kapitalismus - alles findet Eingang in seine groß angelegte Studie auf offener Bühne. Nach allen Seiten offen, in alle Aspekte hineinspringend, alle Gedankenfäden aufgreifend. Alles wird durchgespielt, nichts ist echt.
Der Jude, bei dem sich Bassanio (Thomas Schmauser) um die schöne Portia zu freien Geld leiht und der von seinem bürgenden Freund in Falle des Nichtbegleichung dafür ein Stück Fleisch fordert, kann hier ebenso ein Muslim (Hassan Akkouch), ein Schwuler (Niels Bormann), eine Roma (Jelena Kuljić) oder eine Frau (Julia Riedel) sein. Alle springen in ihre jeweiligen Rollen und sei es nur für einen kurzen Moment.
Dabei wird der Fortgang der Geschichte eher unwichtig, selbst das plötzliche Happy End erscheint schlüssig; wirkt es doch so als nur ein möglich denkbarer Schluss.
Das ist als intellektuelle Herangehensweise an einen scheinbar unspielbaren Text beeindruckend, aber verweigert sich eben auch jedem Einfühlen und Mitleiden. Und dennoch braucht gerade die Figur des Kaufmannes dieses Einfühlungsvermögen des Zuschauers, um sein fragwürdiges Handeln zu verstehen. Zum Glück erkennt Stemann das und so gibt es den Endmonolog von Walter Hess, der zeigt, was jenseits diskursiver Auseinandersetzung im Text stecken kann. So serviert Stemann in aller political correctness von allem etwas und vom sinnlich erfahrbaren Drama sehr wenig.
Birgit Schmalmack vom 7.2.16